May 17, 2023
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

MI 10. Mai 2023
Jazzrock im Ausnahmezustand
SIMON PHILLIPS “PROTOCOL V”
Simon Phillips (dm), Alex Sill (e-g), Ernest Tibbs (e-b), Otmaro Ruiz (keys), Jacob Scesney (ss, as, ts)

Da bleibt kein Ohr verschlossen, wenn der britische Trommelzauberer mit Paradiddle- und Triolenmustern über das expandierte Drumset fegt. Mit völliger Unabhängigkeit von Händen und Füßen ausgestattet. Knifflige Rhythmen, in unentwegt variierten Tempi, zwischen forcierten und gelösten Momenten generierte Spannung, am physisch machbaren kratzende Double Bass Drum Figuren, perfekt frequenzierte Press- und Single Stroke-Wirbel, einfallsreichste Akzentstreuungen – polyrhythmisch verwoben, weiß Phillips, als einer der wenigen im Jazzrock Idiom, mit stupender Musikalität aufzuladen. Hinzu kommt eine nach wie vor verblüffende Unangestrengtheit bei der Umsetzung. Und er ist ein impulsgebender Teamplayer. Als sowohl im Rock- wie Jazzrock-Terrain Legendenstatus bekleidender Schlagzeuger hat Phillips mit seinem Protocol-Projekt in den letzten Jahren eine in der Zeit stehende, durchdacht Stereotypen umgehende und Praktiken des Jazzrock Genres neu erhellende Symbiose dieser beiden, mittlerweile füreinander viel Sympathie hegenden Spielhaltungen, geschaffen.

Ein Pool virtuoser Musiker trägt ihm in wechselnden Besetzungen ihre Partnerschaft an. Demnach war auch der Bandsound der fünften Protocol-Ausgabe von engmaschiger Dichte, das Interplay auf höchster Ebene situiert. Wiewohl diese ziemlich ausgecheckt strukturierte, bestens geprobte Musik atemberaubender Perfektion verpflichtet ist, sorgte ein offensiver Spieldrang dennoch, zu einem erheblichen Teil, für spontane Farbigkeit. Irrwitzige Unisonosequenzen, rhythmische Verschlingungen, durchaus harmonische Ungewöhnlichkeiten, stringente Improvisationen, im Zuge derer ein jeder einiges an melodischem Raffinement ausbreitete - modal konnotierte, all das hätte ohne diesen elastischen, metrisch jonglierenden Groove, den hin und her springenden Beat, nicht diese Zugkraft entwickelt. Gleichfalls neigten die „Protokollierer“ zumeist nicht zu den in dieser Stilistik eingebrannten Klischees, sondern deklarierten sich als von Jazz- und Rockgeschichte gleichermaßen zu Eigenem inspirierten Musikern. Zu Protokoll gegeben muss desweiteren, dass eindrucksvolle Virtuosität diesfalls immer Transmitter tiefbegründeter, unbändig swingender Musik ist. Dennoch, die Band war in erheblicher Spiellaune, ab einem gewissen Zeitpunkt fielen Abnützungserscheinungen und Routinen ein. Eine gewisse Vorherhörbarkeit greift dann doch Platz. Aber auf derartig hohem musikalischen Niveau, mit derartiger Hingabe gespielt, bleibt das Ereignis aussagekräftig und bewahrt sich seine Gültigkeit.