18. Januar 2023
Von Hannes Schweiger

SO 01. Januar 2023
Anatomie der Balladenkunst
KARL RATZER QUARTET
Karl Ratzer (e-g, voc), Ed Neumeister (tb), Peter Herbert (b), Howard Curtis (dr)

Franz Welser-Möst, der brillante österreichische Dirigent, versuchte es beim neujährlichen, philharmonischen Konzertspektakel, diesmal allerdings, chapeau, großteils mit Stücken die in diesem Rahmen noch nicht zu hören waren, mit gediegener Lockerheit. Nicht unsympathisch aber denn doch zu ungelenk. Da lehnte sich des Abends Karl Ratzer so richtig entspannt zurück und ließ die ergreifendsten, den Binnenstrukturen der Stücke feinst abgetrotzten, tiefsinnigsten Tonbouquets mit Herzblut von den Saiten tropfen. Das bekam derart Gewicht weil seine Partner mit einem unfassbaren Entschleunigungs- und Quintessenzvermögen Ratzers „Musicmagic“ zusätzlich mit Beseeltheit zu füttern wissen. Auch der Sir hat eine erhebliche Anzahl von Stücken, die in dieser Konstellation selten bis gar nicht zu hören waren, in ein diesmal signifikant lyrisches Programm genommen. Von Kollegen die große Balladenkomponisten/-interpreten waren/sind. Beispielweise Claude Bolling, Bobby Hutcherson, Hank Mobley, Enrico Pieranunzi. Speziell die Rogers/Hart-Komposition „With A Song In My Heart“, die ihm, so Ratzer, von Fritz Pauer so eindringlich  nahe gebracht wurde, erfuhr eine sondergleiche, inbrünstige Ausleuchtung. Was für dieses Stück gilt, ist auch auf die anderen umzulegen: wie zunächst der harmonisch/melodischen Bauplan und die Stimmführungsvorgaben in eigenen „Grund- und Aufrissen“, funktionsbestimmt wie improvisatorisch, emphatisch mit weiteren klanglichen Wirkungen umgedeutet werden. Auch rhythmisch werden ständig Zwischenbereiche gesucht, neu vermessen und die Spannkraft und Intensität des Multi-Beat neu konfiguriert. Im Balladenmodus. Narratives mit großem Herz verkündet - unsentimental, klar konturiert, wahrhaftig besiegelt.

Von Routine-Unlust angetrieben. Besessen von der Gier, das Leben weiterhin berauschend zu erfahren. Obendrein, jedwedes Solo dieser Paradestilisten war ein Musterbeispiel der Kontrolle des Momentes. Und darin spontan auslaufend. Abermals muss man der Faszination Ausdruck verleihen, welch außerordentliches Niveau der Interaktionsverschränktheit zwischenzeitlich in der Gruppe erreicht wurde. Die Besetzung stellt sich zudem als die ultimative für die musikalischen Phantasmen des Saitentänzers dar. Den diesabendlichen Jazz-Moods ließe sich überdies das Attribut kammermusiklisch zur Seite stellen, doch diese Musik ist von keiner Kammer einzugrenzen, sie strömt in freies Gelände. Als Digestif kredenzte das Quartett eine schalkhafte, biedere Operettenseeligkeit vergessen machende Version von Franz Lehars Komposition „Dein ist mein ganzes Herz“. Welch wunderbare Analogie, denn dem Karl „Wiener-Ratzer“ und seiner „Hochglanztruppe“ fliegen die Herzen wirklich zu.