15. Juli 2022
Von Hannes Schweiger

DO 07. Juli 2022
Der Ausgezeichnete und seine Virtuosen
KARL RATZER QUARTETT
Karl Ratzer (e-g, voc), Ed Neumeister (tb), Peter Herbert (b), Howard Curtis (dr)

Sam Rivers „Beatrice“, ein Fixpunkt im Programm, balladierten sie mit großer Geste als Opener. Das beste Ratzer Quartett das Sie jemals hörten. Wie Plastelin schmiegten sich die runderneuerten Harmonien an die originalen. Abgesehen von Ratzers vertikal wie horizontal strukturierten Relaunches geizten auch seine kongenialen Partner nicht mit kreativen Auffrischungen. Kostbarkeiten reihten sich an Kostbarkeiten. Ad Rhythmik und Polyphonie. Neuerlich verblüffend, welch Variationsbreite den Musiker da zur Verfügung steht. Generell legte das Kollektiv an diesem Abend seinen lyrischen Befindlichkeitszustand  offen. Fern ab von Dusselei und Redundanz. Narrative über wahrhaftige Reflexionen zwischenmenschlicher Qualitäten. “I Fall In Love Too Easily”, „Love Is A Many Splendored Thing“. Könnte man diesen Umstand doch bloß obsiegen lassen. Derart „tasteful“  und „beloved“ gespielte Musik zeigt eine Möglichkeit auf. Was noch auffiel ist die abermals gewachsene Souveränität in Ratzers Spiel. Gleichwohl hat er seine Improvisationen mit der wunderbaren Singlenote-Ästhetik noch deutlicher an den musikalischen Kern herangeführt als auch die akkordische Architektur als Impulsebene konkretisiert. Schwafeln ist ihm wie seinen Freunden fern. Kleinode mit der Jazzpunzierung ließen die Atmosphäre flirren. Herrlich wie Peter Herbert und Howard Curtis tradiert Jazzrhythmisches modellieren, eine weitergedachte Elastizität angedeihen und auch solistisch die Traditionsdeutung neu erfahren lassen. Schädeldeckehebend: ein arco-Solo mit mikrotonalen, obertonreichen Details von Herbert. Dann diese famos swingende Reduktion in Curtis´ Drumming. Der dem die ad hoc-Ideen nur so durch dem Posaunenzug schossen, der in Zweistimmigkeit mit Ratzer die Themen veredelte: Ed Neumeister. Ein Genuss wie er einerseits mit Modi jongliert, andererseits den Quintenzirkel auslotet. Mit diesem signifikanten, voluminösen Ton, geschliffener Artikulation im Abtausch mit energischer Aufgekratztheit. Eine besiegelte euro-amerikanische Jazzachse, der in jedem Musikerfindungsmoment der jazzimmanente Kreativitäts-Imperativ ein Selbstverständnis ist.

Zusatz: Während des Performance-Intermezzos wurde Karl Ratzer eine weitere Ehrung von politischer Seite zuteil. Das Land Wien kürte ihn mit dem „Goldenen Verdienstzeichen“. Im Zuge dessen sich die, die Überreichung vornehmende Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler zu aller Überraschung vor Ratzer niederkniete. Erklang doch davor Musik zu niederknien. Eine verdammt ehrliche Geste. Und Porgy & Bess-Chef Christoph Huber rundete mit einer launigen Laudatio die Zeremonie ab. Zurück blieb ein sichtlich gerührter „Professor“ Karl Ratzer. Glückwunsch Karl Ratzer, es ist deine Zeit. What a night.