13. Mai 2022
Von Hannes Schweiger

SA 23. April 2022
All The Things You Can Play, If You Are Mingus´ Grandchild In Mind
CHARLES MINGUS 100
“TRIUMPH OF THE UNDERDOG” & “BLACK SAINT AND THE SINNER LADY”

1. Set – Triumph Of The Underdog
Clemens Salesny (as, bcl), Phil Yaeger (tb), Andreas Schreiber (v), Martin Bayer (e-g), Gregor Aufmesser (b), Valentin Duit (dr)

2. Set – The Black Saint And The Sinner Lady
Aneel Soomary (lead-tp), Martin Eberle (tp), Phil Yaeger (tb), Christina Lachberger (b-tb, tuba), Klaus Dickbauer (as, fl), Clemens Salesny (as, ts), Stephan Flagar (bs, ss), Michael Hornek (p), Andreas Schreiber (v), Martin Bayer (g), Gregor Aufmesser (b), Valentin Duit (dr)

Er galt zu Lebzeiten als eine der kontroversiellsten und extrem polarisierenden Persönlichkeiten des Jazzlebens. Es war seine Unbeugsamkeit, sein Nonkonformismus, sein radikales Verständnis eines politisch denkenden Menschen, die ihn für einen Großteil der amerikanischen Gesellschaft, vor allem der weißen, nicht einschätzbar machte. In Musikerkreisen galt Charles Mingus jedoch in seiner Gesamtfunktion als kreativ Schaffender - Bassist, Komponist, Pianist, Bandleader, Schriftsteller – als unumstrittene Größe. Wiewohl allerdings, grund seiner immer wieder erfolgenden cholerischen Ausbrüche, auch als gefürchtet. Bereits in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre brachte Mingus einige wesentliche formale Neuerungen – z.B. Auflösung des Taktstriches, Tempovariationen innerhalb eines Stückes, Revitalisierung der Kollektivimprovisation – ebenso als Vorstufen für die nachfolgende 1960er Jahre Free Jazz-Evolution verifizierbar, in die Jazzentwicklung ein. Sein unumstößliches Fundament blieb aber die Gesamtheit der Quellereignisse schwarzer Musik – Blues, Spirituals, Gospel. Und natürlich die Wertschätzung für seinen musikalischen „Übervater“ Duke Ellington. Eine besonders relevante Würdigung zu Mingus´ 100. Geburtstag, derer es vor allem On Air einige gab, vollzog sich audiovisuell dieses Abends vor zahlreichem Auditorium hierorts. Hatte tags zuvor, am eigentlichen Geburtstag des Bassisten, die Eleven Concert Band unter der Leitung von Robert Michael Weiss mit neugefassten Arrangements von Mingus-Stücken den Bassisten abgefeiert, brachte tags darauf die von Clemens Salesny und Gregor Aufmesser in Szene gesetzte Hommage tiefempfundene Remakes ausgewählter Mingus-Kompositionen aus der Zeitspanne 1960 bis 1970 zu Gehör. Eingeleitet wurde der Abend mit einer Video-Nachricht in der Mingus´ Sohn Eric in ungemein sympathischer, wertschätzender Weise allen, an der Hommage-Veranstaltung Beteiligten, seinen innigen Dank aussprach. Im ersten Teil forstete eine Sextett-Besetzung Stücke wie „Peggy´s Blue Skylight“, „Meditations“, „What Love“, „Devil Woman“ auf. Originell die Integration von zwei Instrumenten die selten in Mingus´ Klangkosmos Einzug gehalten haben: Geige und E-Gitarre. Überhaupt wucherten in den Eigenarrangements des Kollektivs findige Ideen, die allerdings die Fantasiestränge und die Intensionen Mingus´ als Navigationselemente immer im Hinterkopf hörten, zu Hauf. Aus den festgeschriebenen Parts des Meisters wurden, man möchte es kaum glauben, einige weitere hörenswerte Detail herausgekitzelt. Beispielsweise was die rhythmischen Strukturen, die modale Harmonik betrifft. Selbiger Impetus forcierte die gelösten, immer auch die Eigenauffassung der Mingus-Musik einbindenden Soli eines jeden. Clemens Salesni mutierte da und dort zu einem stimmigen „Cleric“, Andi Schreiber hatte in famoser Weise den Mingus-Bogen heraus – würdigst entlockte er seiner Geige den ekstatischen „Blues Cry“.

Set Nr.2 hielt eine Mammut-Aufgabe bereit. Die Interpretation/Bearbeitung der Mingusschen Kompositions-Großtat „The Black Saint And The Sinner Lady“.  Ein Meilenstein der Jazz-Moderne, der  1963 von dem legendären Impulse-Label zur Veröffentlichung gebracht wurde. Hinsichtlich kompositorischer Geschlossenheit gilt diese rund vierzigminütige Suite als ein Höhepunkt  in Mingus´ OEuvre, welcher obendrein die eindringlichste Verbeugung vor Duke Ellington darstellt. Nun gelang es diesem Ensemble erstklassiger österreichischer Musiker, in identer Instrumentierung (zuzüglich Geige) der Komplexität, dem leidenschaftlichen Charakter, den ständig wechselnden Klangfarbenschattierungen, den kontrapunktischen Finessen, der klanglichen Wuchtigkeit als erklärtes Telos, mit daraus gezogenen Empfindungen, Erkenntnissen, verwandte Eigenleben zu implantieren. Das gilt für das kollektive Kontinuum ebenso wie für die Solostimmen. Entsprechend des Mingus Credos: „Ich will, dass meine Musiker die komponierten Parts mit so viel Spontaneität und Soul spielen, wie sie ihre Soli gestalten.“  Diese Bravour brachte das Kollektiv spielend auf. Umwerfend. Mingus´ wilde „Passions Of A Man“ übersetzte das Tribute Ensemble souverän. Frisch, weitergedacht, energisch. Überlegt wurde da schon auch mal die eine oder andere Originalsequenz aus den Angeln gehoben, um dem Regelwerk, was auch Mingus liebte, stimulierend den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Solistisch ging der Flow vom einen zum anderen über - brennende Offenbarungen. Besonders mit Spannung geladen war die Aufsplittung von Altist Charlie Marianos ausführlichem Solo-Feature der Originalaufnahme zwischen Klaus Dickbauer und Clemens Salesny. Eine Wechselwirkung zwischen kontrollierter Eruptivität und quirligem Furioso. Es schrie, fauchte, stob dahin. Phil Yaeger, der ganz wesentlich zu den Neubearbeitungs-Arrangements beitrug, shoutete & growlte wie ein langjähriger Mingus-Buddy. Dito Martin Eberle, der noch zusätzlich wahnwitzige Hollerings einstreute. Nicht zu vergessen natürlich die Flexibilität, Groovness des Rhythmus-Gespanns Valentin Duit/Gregor Aufmesser, das zur telepathischen Verbindung zwischen Mingus und Drummer Dannie Richmond, den nahezu perfekten Draht gefunden hat. Es gilt absolute Hochachtung auszusprechen, wenn ein Kollektiv weißer, europäischer Musiker mit derartigem Respekt und Verstehen, diese ausgereifte Kunst schwarzer Musik (mit deren Bezeichnung Jazz Mingus ein Leben lang haderte), ohne je epigonalen Anwandlungen anheim zu fallen, neu aufzusetzen in der Lage ist. Oh Yeah.