12. Januar 2022
Von Hannes Schweiger

SA 01. Januar 2022
Three Steps To Heaven
KARL RATZER TRIO
Karl Ratzer (e-g, voc), Peter Herbert (b), Howard Curtis (dr)

Der erste Tag des Jahres. Vormittag: Die Wiener Philharmoniker unter dem Dirigat von Daniel Barenboim routinierten sich, in der ihnen eingeschrieben höchsten Qualität natürlich, durch ihr obligatorisches, marginal modifiziertes Walzer-, Polka-, Marsch-Ewigkeitsprogramm. Hochglanzpatina. Das eigentliche Statement zur Zeit war hier die Musik an sich. Ein richtiges Signal. Abend: Wirklich lebendig emotionale Relevanz, unter die Haut gehende Feinsinnigkeit in fast schon überschwemmenden Ausmaß, verströmte bei seinem zum liebgewonnen Usus gewordenen Neujahrsgig das Karl Ratzer Trio. Trio deswegen, weil Posaunist Ed Neumeister, wie sollte es in diesen Tagen schon anders sein, einen positiven Testbescheid ausfasste. Sehr schade, aber hier sind ja begnadete Improvisatoren am Werk. Die verbliebenen Drei wissen unmittelbar, wie zu reagieren ist. Außerdem, das Team Ratzer, Herbert, Curtis ist sowieso die „Schaltzentrale“ jeder Ratzer Band. Mit einer Version von „All The Things You Are“ breitete das Dreigestirn unmittelbar sein hochgradig sensibles Interaktionsnetzwerk aus und definierte die „Reiseroute“ entlang einer tradierten, zeitechten Jazz Moderne. Bebop-Archetypen sowie modale Improvisationspraktiken verhandeln die Könner mit einer klar formulierten ästhetischen Haltung. Eine Haltung geflutet von Eleganz, auf den Punkt gebrachter Entspanntheit, fesselnder narrativer Anziehungskraftraft. Was noch intensiver ausgekostet wurde, da das Trioformat die Improvisationsräume entsprechend weitet. Genutzt wurden vor allem harmonische Freiheiten, die das grundsätzliche Basismaterial aus Jazz-Standards in eine ausgesprochen persönliche Spur brachte. Faktor hoch drei waren: Ratzers famose Akkordbänder, die die Funktionsharmonik des Ausgangsmaterials einer Neumondnacht gleich beinhaltete, aber ebenso abenteuersuchende Dissonanzen aufsogen. Zudem seine unvergleichlich phrasierten, nüchtern intonierten Einzeltonlinien. Peter Herbert, der einen „Schlüsselbass“ des zeitgenössischen Jazz spielt, schaltete reaktionsschnell zwischen grazilen Walking-Lines und melodischer Rauschhaftigkeit um. Mit Howard Curtis, die „Driving Twins“, forcierte er eine ausgefuchste rhythmische Flexibilität. Dem Schlagzeuger ging der durchgehende Beat leichtest von der Hand. Er platzierte diesen in ein tänzelndes, polyrhythmisches Flechtwerk und verlieh den Rhythmen eine nahezu melodische Fassette. Was auf sein Verständnis für klangliche Aspekte des Drummings verweist. Womit Curtis  in seinem Schlagzeugen die Spielkultur des großen Ed Blackwell mit einer ziemlichen Einmaligkeit weiterführt. All das waren Momentkonstrukte, wie überhaupt improvisatorische Großtaten eine auf die andere folgte, die freudvoll den Weg zuden thematischen Kokons zurückfanden. Beispielsweise Wayne Shorters „Footprints“, McCoy Tyners „Blues On the Corner”, “I Fall In Love Too Easily”. Brillant gespielt, von ergreifender Intimität, himmelstürmerisch. Ausklang war eine alles nochmals zusammenfassende Version des 1950er Jahre Pop-Songs „Love Is a Many Splendord Thing“  Welch Liebe zur Musik sich an diesem Abend freimachte – eindringlich. Und ständig gegenwärtig waren im Tun der drei ungekünstelte menschliche Wärme sowie das permanente musikalische Werden.