30. Dezember 2021
Von Hannes Schweiger

SA 18. Dezember 2021
Monogatari* im Jazz-Idiom
AKI TAKASE´S JAPANIC
Aki Takase (p), Daniel Erdmann (ss, ts), Vincent von Schlippenbach (turntables), Johannes Fink (b), Dag Magnus Narvesen (dr)

Die Marotten der JapanerInnen nehmen sich für EuropäerInnen teils sehr verwunderlich aus. Vice versa wird es sich wohl gleichgelagert verhalten. Womit beglücken die JapanerInnen die alte Welt seit den 1970er Jahren: Sony und Pioneer, Yamaha und Yanagisawa, Honda und Mitsubishi, Sushi und Maki, Manga und Anime und für vorliegenden Inhalt am wichtigsten, einer Fülle famoser Jazz-MusikerInnen. Deren eine davon die außergewöhnliche Pianistin Aki Takase ist. Von Tokio via New York kam sie nach Europe und landete in Berlin, ehelichte den „Globalimprovisator“ und „Großformatiker“ Alexander von Schlippenbach, und ist seit damals eine permanent überraschende, überzeugende Konstante der avancierten europäischen Jazzlandschaft. Unmengen Kollaborationen mit den namhaftesten ProponentInnen diesseits und jenseits des Atlantiks sprechen eine deutliche Sprache. Japanic nennt sie ihr aktuelles Projekt, zum dem sie um eine Generation jüngere, aus dem umfangreichen Berliner Kreativ-Pool stammende Musiker einlud. Ist „Japanic“ ein Synonym für die Ost West-Spange?, Form einer kulturellen Ästhetik? oder lediglich ein geschicktes Wortspiel? Vielleicht von allem etwas. Für die Musik Takases ist es, so trägt es den Anklang, ein Kontra zur von den meisten Japanern gepflogenen Regelkonformität. Takase denkt, fühlt pluralistisch. Sowohl das Interesse für die Musik der europäischen Moderne zu Beginn des 20. Jhdts als auch vieler Jazz-Revolutionäre aller Epochen absorbiert Takase in ihrer Tastenkunst des Nonkonformen und Waghalsigen. Hervorstechend hierbei die Austariertheit zwischen Außer-sich-sein und Konzentration. Verhandelt mit einer stupenden Spieltechnik und Anschlagkultur, einem ausgeweiteten Klanghorizont, der sie ausführlich über die gesamte Klaviatur verfügen lässt. Große Oktave und Kontraoktave sind obligater Bereich ihres Spieles. Ebenso ist die ausgeprägte linke Hand der Pianistin mit melodischen Entwicklungen, Singlenote-Reihen befasst. Diese Egalität zwischen den Händen ließ den Fazioli-Flügel in besonderer räumlicher Opulenz erklingen. Was nicht allzu vielen PianistInnen gelingt. Intensität, welche Takase mit unglaublicher Umsicht und Fokussiertheit ausspielt, ist ein weiterer Dringlichkeitsfaktor der Musik. Schon der Opener bildete den originellen Bandsound, die multidirektionale Inhaltlichkeit der eingeschriebenen Jazz-Progressivität des Japanic-Quintetts vorzüglich ab. Ein Duett zwischen Takase und Vincent v. Schlippenbach. Aus den Tasten preschte ein massiv knorriges Ostinato hervor, das DJ Illvibe (Schlippenbach Jrs. Pseudonym) mit einer gescratchten, wendigen Rhythmusfigur auffettete. Er war überhaupt eine Entdeckung in Sachen Turntable-ism. Denn Schlippenbach hat aus seinen Gerätschaften ein eigenständiges Instrument geschaffen und verwendet seine klanglichen Ready-Mades nicht als Geräuschbeifügungen sondern entwickelt damit musikalische Strukturen. Perkussiven Charakters, zumeist. Verpackt in konkrete Grooves oder losgelösten Pulsationen. Da dient etwa die Schlagzeugartistik eines Paul Lovens als Grundlage, der elektronische Mittelteil des Pink Floyd Stückes Echoes, Vibraphonsequenzen. Aber auch eine bel canto –Sopranistin mutiert zum integralen Bestandteil eines Stückes. Das ist Turntable-ism von neuer Qualität. Hier agierte der beste „Plattenspieler“ des zeitgenössischen europäischen Musikgeschehens.

Intuition ist eine entscheidende Prämisse im gesamten Ensemble. Und die wird auch nicht durch die aufregend verschachtelten Kompositionen Takases, jene bilden den Löwinnenanteil, beschnitten. Abstrakte Beschaffenheiten lösen sich mit temperierten Inhalten ab; verströmen als geglückte Osmose. Diese Dynamik der unentwegt in Bewegung befindlichen Kräfte besticht durch Spontaneität, Kontrapunktfinessen und Alterationen. In den kalkulierten Teilbereichen ebenso wie in den ad hoc-Imaginationen. Bezüglich letzterem wandten sich mit größter musikalischer wie technischer Kompetenz die Ausführenden der befreiten Philosophie des Klangspieles genauso zu wie konventionellen Formgebungen. Zu beiden oben genannten, Erdmann als geschmeidig fabulierender Saxophonist mit durchdringendem Ton, Schlagzeuger Narvesen als ideensprühender Rhythmuskinematiker und der Bassist mit dem Basssaiten bestückten Cello Johannes Fink mit geschmeidigem Spiel die rhythmische Konstanz festigend. Enge Interaktion, kompakter Bandsound sind die Vorzüge einer vor Kreativdrang berstenden Formation. Stringenz, Neugierde, Jetztzeitigkeit, Ja, zu einer derart herzerfrischenden „Panikmacherei“.

(*japanische Erzählform)