15. Dezember 2021
Von Hannes Schweiger

MI 08. Dezember 2021
Um den Faktor Drei
THE BILL STEWART TRIO
Bill Stewart (dr), Larry Grenadier (b), Walter Smith III (ts)

Ebenfalls eine spezifische Errungenschaft  der Jazzentwicklung ist die Instrumentierung Saxophon-Bass-Schlagzeug. Eine prägende Rolle diesbezüglich spielt einmal mehr Saxophon-Colossus Sonny Rollins. Er hat diese Instrumentenkonstellation vielleicht nicht erfunden, aber er hat die Blaupause entworfen, an der sich nachfolgende Formationen dieser Art zu orientieren haben. Bezogen auf die Kontinuität eines Arbeitskonzeptes. Der Wegfall eines Akkord-/Harmonieinstrumentes eröffnet neue harmonische, melodische Freiheiten und vielfältigere rhythmische Beweglichkeit. Dies auszuloten stellte sich auch Bill Stewart zur Aufgabe. Ein besonders befähigter, über die Maßen respektierter Schlagzeuger der jeweiligen Jazzgegenwart seit mehr als drei Jahrzehnten. Mit im Erkundungsteam: eine etablierte Jazz-Bass-Größe in Person von Larry Grenadier und der Tenorsaxophonist Walter Smith III – mittlerweile Middle Age-Fixgröße des New Yorker Jazztreibens, der seinerseits ein Trio mit Harish Raghavan (b) und Eric Harland (dr) betreibt. Also auch mit genügend Erfahrungsschatz in derartiger Besetzung. In Stewarts Trio bilden klarerweise rhythmische Vielschichtigkeit, Differenziertheit, pulsierende Tension, elastische kinetische Energie den Nukleus des Ereignisverlaufes. Reverenzpunkte der Improvisationen sind motivische Eigenkompositionen der Protagonisten, die in  konventionellen Rahmenbedingungen ihre Abhandlung finden, mit Adaptionen von Bebop und Hard Bop Parametern in vertikalen und horizontalen Modalproportionen. Das Trio funktioniert nach dem paritätischen Prinzip. Jedes der Stücke nimmt Bedacht auf variabel geschichtete Texturen. Eingeordnet in ein striktes Metrum mit swing-Potential in Hülle und Fülle. Allerdings verschaffte Stewart mit struktureller, variantenreicher Timekeeping-Intelligenz diesem straffen Zeitmaß eine außerordentliche Dehnbarkeit. Auszeichnet ihn ferner, vor allem in den Soli, perkussiv-melodisches Fingerspitzengefühl. Meisterlich vollzog der Drummer Additionen von Viertel- und Achtelrhythmen, verknüpfte sie zu polystrukturellen Einheiten. Intuitiv nahm er zudem Bezug auf den Beat. Hinter diesen zurücktretend, diesem vorauseilend oder sich auf ihn festsetzend. Das verlangt von seinem Spiel Periodizität und Präzision, was Stewart allerdings nicht abhält überlegt gesetzte, kleinportionierte Auflösungen einfließen zu lassen. All dem entsprang ein brisanter Spannungs-/Entspannungszustand. Von großem Wert ist für Stewart hierbei das sensorische Einvernehmen mit Grenadier. Der setzt sein mit Stewarts Tun kongruierendes Spiel hinzu. Völlig individuell in der Phrasierung. In unaufhörlich schwingender Bewegung gehalten. Ausgeklügelte Achteltonketten rannen dem Bassisten aus den  Fingern, „walkten“ raffiniert dahin. Überraschende Stopps lieferten der Dramatik zusätzliche Grade. Akzentuierungsversetzungen, Ornamentierungen, Fills schoben sich in Off-Beat Kapriolen ineinander. Gefühlt, ständig ein Stück über dem Boden. Der Saxophonist wirkte gefesselt von dem peitschenden Drive der Rhythmiker, konnte diesen jedoch nicht mitnehmen. Smith versuchte eine Kraft der Melodie aufzubauen, scheiterte allerdings an seiner emotionalen und musikalischen Zurückhaltung. Das laid back-Verhalten war zu bestimmend. Seine Lippen hingen folglich auch zu sehr an dem Üblichen entsprechenden Changesstrukturen & Phrasierungsweisen. Von einer Wagnisbereitschaft betreffend Harmoniefolgen war ebenfalls zu wenig zu vernehmen. Großes technisches Vermögen, aber geringe inhaltliche Relevanz. Die Dringlichkeit der famosen Bass-Schlagzeug-Einheit gab letztendlich den Ausschlag und packte den Bläser aufmerksam und integrativ am Kragen. So blieb der Faktor Drei gewährleistet. Dichte und Balance des diskursiven Interplays blieben demnach nie auf der Strecke. Es stecken ausreichend Perspektiven in diesem Trio.