27. September 2021
Von Hannes Schweiger

DO  23. September 2021
Double Fantasy
ANGELIKA NIESCIER / ALEXANDER HAWKINS DUO
Angelika Niescier (as), Alexander Hawkins (p)

Subtil angeschlagene, bedachtsam gebaute Akkordfortschreitungen, ohne jegliche klebrige Romantizismen, entschwanden als Eröffnungsgesten der prallen Klangwelten dieser beiden integeren, hochqualifizierten MusikerInnen dem Piano. Hauchtöne des Saxophones mischten sich ein, ehe dieses forsch und lebenssüchtig die Expressivität ordentlich anfachte. Saxophon und Piano preschten sodann Hand in Hand dahin. Niescier und Hawkins haben unglaubliches Können zu bieten – individuell ausformuliert. Doch das stellen sie nicht plump in die Auslage. Im Moment forcierte Hawkins mit repetitiven Musterblöcken die rhythmische Intensität der Musik. Gelenkigkeit und ein Strukturierungsverständnis spielen eine große Rolle. Niescier offerierte daraufhin einen wallenden Ideenfluss. Eindringlich ist ihr kantiger, offensiver Ton, der in einer „stakkatierenden Legatospielweise“  besonders gut aufgehoben ist. Die Dimensionalität der Musik verortet sich in polytonalen Aggregatzuständen. Tonalitätsaufhebungen ereigneten sich in kurzen Abrissen, die pikant aus der Höreingewöhnung rissen. Famos deklarierte sich die vielschichtige Formgebung der ProtagonistInnen. Betreffend des vorgefertigten Materials wie auch in den scharfgestellten, aussagekräftigen Improvisationen. Hierarchien von Begleit- und SolistInnenrolle hat in beider Klangraumvermessung sowieso keine Relevanz. Der Saxophonistin und des Pianisten klangliche Stofflichkeiten krochen auslösend ineinander. Das Klangfarbenkaleidoskop dieser enorm durchsetzungswilligen Musik änderte kontinuierlich seine Tönung. Durch wohlüberlegtes Variieren mit Vibrato-, Tremolo-, Obertoneffekten. Niecier und Hawkins extemporierten, assoziierten und interpretieren vor jeglichen Routinerückgriffen  gefeit. Das hatte eben auch immer diese brisanten harmonischen, melodischen Alterationen zufolge. Dynamisch war die Bandbreite um nichts weniger aufregend. Es erstaunt ungemein, jenes kongruente Maß an Sensibilität und Expressivität, an Übereinstimmung und Divergenz. Beispielweise löste Hawkins aus massigen Akkordbauten, filigrane, wassertropfengleiche Einzeltonfolgen, was einander ohne Bruchstellen bedingt. Niescier wiederum ließ versponnenes Sinnieren in zirkularbeatmeten Klangschleifen oder stochastischen Kettenreaktionen aufkochen. Der Quintenzirkel läuft schon gelegentlich richtig heiß, formale Biegungen und Brechungen werden mit genüsslicher Hingabe vorgenommen. Ein besonders bewegendes Beispiel war die Version des Muhal Richard Abrams Stückes „Arhythm Songy“. Aus europäischer Verwurzelung vollzogen Niescier und Hawkins eine tiefrespektierende wie beglückt vieles verdankende Annäherung an die afro-amerikanische DNA des Jazz. Was noch zwingend in seiner Unmittelbarkeit sich darstellte, neben der künstlerischen: die menschliche Wahrhaftigkeit – als in Klang gegossene Aphorismen.

Angelika Niescier und Alexander Hawkins gehören zu auffallend prägnanten Persönlichkeiten eines aufgeklärten Gegenwarts-Jazz. Beider Jazzverständnis ist nicht monokausal. Jedwede für sie nutzbare Schattierung wird aufgegriffen. Aus der Sicht der Wertigkeit für eine musikalische Aussage. Duo-Musik von selten hohem Dichtegrad und ausdrücklicher Stimmungsdiversität. Zwei hoch zwei.