30. März 2021
Von Hannes Schweiger

MO 22. – MI 24. März 2021
Orchestrale Ohrenbläserei in der Menschenleere
CHRISTIAN MUTHSPIEL & ORJAZZTRA VIENNA
Lisa Hofmanninger, Astrid Wiesinger, Ilse Riedler, Fabian Rucker, Robert Unterköfler, Florian Bauer (reeds), Gerhard Ornig, Dominik Fuss, Lorenz Raab, Alois Eberl, Daniel Holzleitner, Christina Baumfried (brass), Philipp Nykrin (p), Beate Wiesinger (e-b), Judith Ferstl (acc-b), Judith Schwarz, Marton Juhasz (dr, perc), Christian Muthspiel (cond, composition, musical director)

Stageband der Konzertsaison 2019/20. Gerade als das Orchester sozusagen seine zweite Präsentationsphase aufzugreifen sich anschickte, brach sich die Pandemie Bahn. Der Rest ist aktuellere Geschichte. Die beispielgebenden und nachhaltigen Streaming-Aktivitäten des Clubs eröffneten schließlich die Möglichkeit einer dreitägigen Konzertserie, um das Stageband-Engagement  zum Abschluss bringen zu können. Es herrschte ausgesprochener Tatendrang, fast unbändige Ungeduld unter den Musikerinnen und Musikern. Und Mastermind Christian Muthspiel hat den bunten Kreativ-Haufen mit einigen Proben erneut auf sein vielschichtiges Material effektiv eingeschworen. Das Kompositionen-Kompendium hat sich nicht verändert, lediglich ein final gespieltes neues Werk „Homecoming“, vom Leiter selbst, ergänzte das Programm. Jedoch stellte sich im Laufe der Aufführung der Eindruck ein, dass der Komponist und Kapellmeister die Stücke einer abrundenden Retuschierung zugeführt hätte. Das Klangbild rankte sich hernach um einen unterschwellig „sinfonischen“ Charakter. Obschon die Eröffnung ein freies, ekstatisches Orchester-Tutti preisgab, das sich zu einer rasant bopigen Führung der Stimmen wandelte und einiges an Biss und Verve für Kommendes anzubahnen schien, trugen etliche Stücke jetzt ein wenig zu gravitätische, balladeske  Züge. Entgegen des ursprünglich vermittelten Ansatzes, der kantiger als auch loser im Wechselspiel Solisten/Orchesterpassagen angelegt war. Muthspiel scheint sein Ohrenmerk, bedingt durch die intensive Auseinandersetzung mit Klassik einst und jetzt in den letzten Jahren, verstärkt auf Komposition und Arrangement zu legen. Welcher Kunstfertigkeit und Originalität er dabei frönt, konnte man beeindruckt beiwohnen. Thematisches Material bündelt sich in komplexer polyphoner (angeregt durch barocke Techniken) Linienführung, die gleichsam deklamatorischer Weiträumigkeit anhängt, aber auch fokussierte Klanghärte zu nutzen weiß. Ebenso schimmern Concerto Grosso Merkmale durch.

All das bedient Muthspiel jedoch nicht als Mimikry oder Dekor. Denn darüber legt er sein dem Jazz eng verbundenes Koordinatensystem. Eines das dem modal-linearen Zugang entspricht und verknüpft angesprochenes mit herrlichen Off-Beat Extravaganzen, atemberaubenden, stoßhaften Bläsersätze-Verschachtelungen, vertrackter rhythmischer Architektur – dann und wann herzhaft rockaffin -, die vor allem die beiden Bassistinnen und SchlagzeugerInnen zum Gipfel führen. Judith Schwarz findet sich zudem in der Rolle der sensiblen Klangkoloristin wieder. Erlebnisreich z.B das Ineinandergreifen von messerscharfen Blockakkorden der Bläsersections, harmonischer Neugierde und tiefempfundenen Blue Notes, was Muthspiel zu seinen „Shades Of The Blues“ bewegt. Wie eingangs erwähnt, kommt der balladesken Befindlichkeit eine prägnante Rolle zu. Somit wird dann doch einige Male zu oft der Antrieb zurück geschraubt. Verortet ist die Musik in einer tonalen Grunddisposition. Konzeptionell: illuminierende Geistesblitze die der Orjazztra-Leiter in Form gegossen hat. Hervorgestochen an den drei Abenden ist besonders ein Musiker. Pianist Philipp Nykrin. Wie anhand der Vorgaben harmonisch fokussiert die Musik von ihm getragen wird. Er in seinen Improvisationen Sforzati der linken Hand mit poetischen Freiheiten und rasanten Jazztechniken seiner Melodiefindungen verwebt ist famos. Jede der Kompositionen featured eine/einen bzw. zwei Solistinnen/Solisten. Und hier offenbarte sich der Umstand, dass die Vordispositionen inzwischen vielleicht etwas zu umfangreich angelegt sind. Kanten und Ecken die zwar hie und da hervortraten (Rucker, Ornig, Astrid Wiesinger) konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele der dramaturgisch eloquent aufgebauten und meisterhaft gespielten Soli nicht so richtig zündeten. Außer Zweifel steht dennoch, das in ihm brodelnde Potential des Kollektivs und das damit verbundene inhaltliche musikalische Voranschreiten eines orchestralen Jazz der „neuen Mitte“. Denn hier vollzieht sich echtes Teamwork, unitär mit Ideen gespeist von einem Musiker/Komponisten der seinen PartnerInnen nicht nur Motive oder Riffs als verbindlich vorlegt, sondern sie in den poetischen Kern, die Atmosphäre, das Fluidum, den inspirierenden Impuls der Musik abtauchen lässt. Was diese libertären MusikerInnen gestalten ist fortwährend narrativ und menschennahe. Muthspiels Tondichtungen vibrieren in ihrer DNA vor Lebensintensität und Spiellust.