29. Dezember 2020
Von Hannes Schweiger

MI 23. Dezember 2020
Ein-Wand-Frei
KARL RITTER „WEISSE WAENDE“
Karl Ritter (e-g), Herbert Pirker (dr extended), Christian Reiner (voice, real time poetry), Markus Dorninger, Matthias Fritz (tagtool visuals)

Das traditionelle, geburtstägige Klang(mani)fest Karl Ritters. Diesjährig vor leeren Rängen und ziemlich auf Abstand. Aber im Stream, vor einem anzunehmen prallen Publikumsstrom.
Weiss. Nicht das Rauschen. Die Fläche – virtuell. Ritter liebt es, eine solche aus dem Stegreif-die Saiten einzufärben. Heuer im offenen Simultandiskurs mit zwei ganz engen Kumpel – der exzellente „Schlagfertige“ Herbert Pirker und der brillante „Freisprecher“ Christian Reiner. Als Sprach/Klang-Exzentrikbruderschaft Weisse Waende. Ergänzt um die beiden Visual Artists, die eine reale weiße Wand ausgestalteten. In Echtzeit, teilweise mit vorgefertigten Graphiken. Für Ritters große Klangkunst ist die Unmittelbarkeit des Ausdrucks von eminenter Bedeutung. Es sprüht Leidenschaft aus jedem Ton. Von der Gitarre sprang sodann ein scharfkantiger, schillernder Klangknäul ins Weiß. Der aufgekratzte Akkordkonzentrationen auslöste. Greifbarer Harmonik abhold. Was zierte die Wände: freitonale Dissonanzfelder angereichert mit Geräuschpartikel – splittrig, räudig, die Ritter bravourös in seinem Schmelztiegel Gitarre aufkochte. Getrieben von einer fokusiert gehandhabten rhythmischen Tendenz,  die eigentlich Wände einreißt. Da wartete Pirker nicht lange ab. Fast kongenial dazu werkte er auf seinem diesmal ausladenden Instrumentarium mit ständig mutierenden Schlagmustern, Komplementär- und Kreuzrhythmen, agogischem Trickreichtum, Temporückungen und diesem fest in der Hand liegenden Wahnsinns-Punsch spontan kalkulierter Austobungen = expandierende Spannung. Phänom…, nein Herbert Pirker ist Herbert Pirker. Aus. Der, der dann die emotionale Palette, die lebenswirkliche Dringlichkeit abrundete, war Christian Reiner. Mit seinen frei assoziativen Wortkaskaden, Inhaltsabstraktionen. Welche er zum Teil als Klang-, Gesprächsfetzten, teils als Textcollagen hineinschmetterte. Vereinnahmend exzentrisch, existentiell als Grenzerfahrung, in ekstatischer Körpersprache. Dazu farblich explodierende, aber gleichsam narrative Visuals, die nicht nur Grund der Texte die musikalischen Vorgänge kommunizierend durchwirkten. Über eine Stunde währte der Ereignisbogen, ließ die Wände unentwegt zittern, lächelte über Ermüdung. Frönte einer ingeniösen Interaktion. Voll der Offen-kundigkeit dreier Solitärkünstler. Hören sie das, sehen sie das, spüren sie das, auf einer Fußsohle, in einer Herzkammer, atmen sie aus, sagen sie Aaaahhh (frei nach einem „Freispruch“ von Christian Reiner). Vergängliches Wandgemälde aber mental eingebrannt. Die physische Distanz schien egalisiert.