2. November 2020
Von Hannes Schweiger

DI 27. Oktober 2020
Die Relativität des Wirkungsgrades
AUFMESSERS SCHNEIDE
Gregor Aufmesser (b),  Lorenz Raab (tp, flh), Clemens Salesny (ss, as), Leonhard Skorupa (ts, bcl, cl), Alois Eberl (tb), Lukas Kletzander (p), Lukas Aichinger (dr)


Inspirationen für seinen musikalischen Output bezieht er aus so unterschiedlichen Bereichen wie Physik, Physiotherapie, Mythologie verkündete Bassist Gregor Aufmesser in seinen teils irritierenden Stückansagen, auf die noch einzugehen ist. Warum er seine Intellektualität auf derart plakative Weise überbetonte, blieb im Verborgenen. Soll das die Qualität seines musikalischen Konzepts nachdrücklich betonen? Wollte er eine anwesende Jury der mdw, es stellte sich nämlich heraus, dass er an diesem Abend eigentlich sein Master-Diplom Konzert spielte, zusätzlich beeindrucken? Mit Häufung der Ansagen, vor allem wenn es dann auch inhaltlich fragwürdig wurde – so z.B. betreffend einer Komposition, der die Quantenmechanik als Anregung diente und der Bassist sinngemäß anmerkte, dass in diesem Bereich trotz „Herumforschens“ nach wie vor  entsprechende Erkenntnisse ausbleiben?! Gut, dass er nicht auch noch die Quarks angesprochen hat – wird der Hörgenuss einigermaßen geschmälert. Insofern schade, da Aufmesser zweifelsfrei einen sehr vielfältig strukturierten Ansatz seinen Kompositionen zu Grunde legt. Zum einen zieht er einen Jazz-Klassizismus der auf dem Dur- /Moll-System beruht und teils verzweigte Themenkomplexe beinhaltet heran, zum anderen durchtriebene Texturen, die mit einem doch ziemlichen hohen Abstraktionsgrad im Bereich Tonalität spielen, durchaus auch kontrollierte Geräuschereignisse aufweisen und gelegentlich in freie kollektive Kadenzen ausbrechen. Dennoch vermitteln die Arrangements, die die eigene Handschrift suchen, in etlichen Details auch finden, eine unüberhörbare Unentschlossenheit. Zu erzwungen wirken da und dort die Verbindungsversuche der verschiedenen musikalischen Organisationsformen und die damit verbundene Komplexität der Architektur. Bestärkt wird dieses Schwanken zudem durch nicht immer geglückte ironische Introduktionen. Organisches Fließen strandet mehrmals an ein wenig zu plakativen „Anything Goes“- Zuschnitten. So konnte Aufmessers z.B. in seiner Hommage an Charles Mingus den Konnex zu dessen flamboyantem Kollektivgeist nicht überzeugend herstellen.

Etwas anders verhält es sich mit den rhythmischen Konturen und Binnenfaserungen der Musik. Die gerieren sich bewegungsintensiv, elastisch, druckvoll. Verschränkungen von jazzelementarer Primärrhythmik und funky ausgerichteten Grooves in Jazzsyntax getaucht, funktionieren erstklassig und verleihen der Musik Gelenkigkeit, Anziehungskraft und swingende Broken-Time Chiffren. Dieses interessante polyrhythmische Gefüge belebt der versierte Schlagzeuger Lukas Aichinger mit Hingabe und erstklassigem Gespür für Spannung/Entspannung. Resultierend daraus ergeben sich ebenfalls aufregende Veränderungen der metrischen Basis. Gleichgeartete Flexibilität, in modalem Koordinatensystem, steht den Solisten offen. Entfaltungsräume dahingehend hat Aufmesser konzeptionell effizient in die Kompositionen gesetzt. Zwei Musiker, eines umbesetzten Ensembles, verliehen mit ihren Improvisationen der Musik gehörigen Belang. Lorenz Raab mit dem „Leichtsinn“ klanglicher Wandelbarkeit und der grandiose Clemens Salesny, der an Alt und Sopran scheinbar unlimitierte Fantast, progressive „Dramaturg“, der einen separaten Weg „in changes“ und „out of changes“ beschreitet. Momente in denen die am treffendsten als zeitgenössischer Modern Jazz mit aufgeklärter Haltung bezeichnete Musik, ihre Substanz wirklich offenbarte. Potentielle Möglichkeiten sind freigelegt, die viel öfter auf des Messers Schneide stehen müssten. Somit ist die Tragfähigkeit der Musik nur relativ überzeugend. Und, solcherlei mündliche Erklärungsversuche tun dabei nicht Not.