9. Oktober 2020
Von Hannes Schweiger

DI 06. Oktober 2020
Wortgeschick und Tonkunst oder eine Blume ist ein liebenswertes Etwas
OSKAR AICHINGER – „I Hide Myself Within My Flower“ fest. ANNA HAUF
Anna Hauf (voc), Lisa Hofmaninger (ss, bcl), Beate Wiesinger (b), Oskar Aichinger (p, voice)

Ein Zeitgenossler mit universalkünstlerischen Zügen ist er: Oskar Aichinger. Hat er doch in jüngster Zeit u.a. zwei wortgewaltige Bücher über etwas andere Streifzüge durch Wien, womit er seiner Wahlstadt eine liebenswürdige Umarmung ausspricht, rausgehauen. Aber auch dem unsympathischen Wien-Bashing von pastelfarbig beschmierten Politik-Halbprofis eine vor den Latz geknallt. Dennoch mit Herz und Hirn ist Oskar Aichinger Musiker. Auch in diesem Metier ist er ein puristischer Pluralist. Seine Mentalität treibt ihn im avancierten Jazzidiom mit genau der gleichen Selbstverständlichkeit um wie im zeitgenössischen Wienerlied, in der klassischen Avantgarde, im Musiktheater, im Recitalbereich. Und mit großer Leidenschaft im „Pianist/Songwriter“-Genre. Aichinger hat ein Faible für die Liedform, über Stilgrenzen hinweg. Und als literaturaffiner Mensch ging auch betreffend der Vertonung von Gedichten für ihn ein spezieller Reiz aus. Einen solch besonderen stellten die Gedichte der bedeutenden amerikanischen Lyrikerin Emily Dickinson, die bereits im 19. Jahrhundert neue lyrische Formen austüftelte, dar. Als ebenso experimentierfreudiger, nonkonformistischer Geist lag eine musikalische Aufbereitung für Aichinger auf der Hand. Nun ergab sich erneut die Gelegenheit, den schon vor längerem daraus resultierenden Liederzyklus auf die Bühne zu bringen. In sein Ensemble bat der Pianist/Komponist diesmal die renommierte Mezzosopranistin Anna Hauf und zwei außerordentlich befähigte Musikerinnen des jungen Pools der Jazzszene hierzulande – Lisa Hofmaninger und Beate Wiesinger. Aichinger konzipierte konzise Songs die in ihrer Konzentriertheit ganz wunderbar den kurzgefassten Gedichten von Dickinson entsprachen. Er versagt sich gängigen AABA-Songschemen, und erzeugte mit teils mit Eingängigkeit spielenden Motivwanderungen vielgestaltige Texturen und unorthodoxe Verlaufstränge. Aufgefädelt entlang durchlaufender rhythmischer Figuren, vorherrschend im 4/4 Takt, in harmonische Diversität getaucht, gebunden an einen Andante-Modus. Wenn Assoziationen die mit dem Geschehenen in der Liedkunst, speziell des 20. Jhdts, bestens vertraut sind anklingen, gemeint sind Beiträge von z.B. Weill/Eisler, Mantler/Bley, Mike Westbrook, Jack Bruce, Joni Mitchell, dann lässt dies Aichinger mit Nuanciertheit und intelligentem Witz geschehen. Begleitet vom Eigensinn mit dem er all das in sein melodiegeflutetes Song-Narrativ überführt, in Hinblick darauf, die eindringlichen Texte leuchten zu lassen. Beeindruckend in jedem Detail, ist die Konformität der Musikerinnen gegenüber den Songbausteinen Aichingers. Wodurch der hohe ästhetische Anspruch des Liedguts gefestigt wird. Dazu gehört gleichfalls der Umstand, dass Aichinger, danach verlangt sein „Jazz-Herz!“, die individuellen Fähigkeiten seiner Partnerinnen miteinbezieht. Im Fall von Anna Hauf sind es ihr beeindruckender Stimmumfang, der sie mit viel Volumen mühelos zwischen Sopran und tiefer Altstufe changieren lässt bzw. ihre Fähigkeit mit Koloraturtechniken zwanglos improvisieren zu können, was den Worten Persönlichkeit verleiht. Ob Ballade oder angeschrägter Zwölftakter.  Ebenso nützten die beiden Instrumentalistinnen die genau einkalkulierten offenen Türen in den Liedern für ihr famoses Können des Instant Composing – weil sie mit der Gabe des Einfalls den Liedern spontane, vertiefende Melismen und Alterationen „hinzukomponierten“. Voll der Eigenart die Artikulation, die Phrasierung, der substantielle Ton beider. Mit seinem pianistischen Können hielt Aichinger bei ein paar Momenten auch nicht hinter den improvisierten Berg. Das verpasste dann den Songs erneut das eine Mal ein boppiges Schwingen, das andere Mal ein modales freies rubato. Ungewöhnlich besetzt, musikalisch in der Zeit und mit dem Einbezug von Texten von unzweifelhafter literarischer Qualität hat Oskar Aichinger ein gültiges Kunstlied-Profil entwickelt, das er wahrlich nicht verstecken muss. Danke für die Blume(n).