6. Oktober 2020
Von Hannes Schweiger

DO 01. Oktober 2020
BrMAXtones
MAX NAGL QUINTET
Max Nagl (as), Martin Eberle (tp), Phil Yaeger (tb), Georg Vogel (p, el-p), Gregor Aufmesser (b)

Im Bereich der Tonorganisationsform Komposition hat sich der geradlinige Querdenker mit bewegtem Jazz-Lebenslauf Max Nagl im letzten Jahrzehnt ein weitläufiges  Freiland geschaffen. Man wird beim Hören seiner Musik immer deutlicher des Eindrucks gewahr, dass er durch den bekannten Umstand seine Ohren allen möglichen musikalischen Strömungen zu leihen, mit für ihn inspirierenden Versatzstücken diverser Stilistiken/Spielhaltungen innerhalb des Ideenüberbaues nach improvisatorischen Prinzipien verfährt. Derart überraschend lanciert wirkend, sind diese verbindender Teil determinierter Nagl-Originaltexturen aber auch kollektiver Extemporationen. Hinzu tritt zur Ereignisschichtung eine organische, bewegungsdynamische Komplexität, die sich detailreiche Ausleuchtungsmöglichkeiten der geplanten Spielsituation zur Aufgabe stellt. Max Nagl hat schon seit langem Könnerschaft expressis verbis diesbezüglich anzubieten. Sein aktuelles Quintett trifft allenthalben ein weiteres Mal den Nagel auf den Kopf. Zudem hat er für dessen Materialsammlung sich der Musik/Konzeption des unorthodoxen Solitärs Anthony Braxton gewidmet. Speziell seinen Quartett-Musiken der 1970er Jahre. Für die Interpretation  von Braxtons diffiziler Klangwelt muss man mit dessen Koordinatensystem gut vertraut sein und in Kohärenz mit dem eigenen bringen können, um nicht in halbgare Nachspielversuche abzugleiten. Nagl schafft eine bemerkenswerte, Braxtons Vision tiefgreifend rezipierende Eigendeutung. Wobei Nagl sich auch in seinem Saxophonspiel immer mehr als selbstständiger Braxton-Typus deklariert. Eröffnet hat das kongenial agierende Quintett mit der Braxton Komposition „23 D“. Im Laufe des Abends folgten weiters  „40B“ und „6C“. Prägendes Strukturprinzip dieser Stücke sind die rasanten Achteltonketten der mehrgliedrigen Themen. Verschachtelt gereiht, mit periodischer Time-Signature und boppiger Phrasenbildung. Mit in Staunen versetzender, lässiger Verspieltheit, dabei ungemein präzise und berauschend swingend, zuzüglich naglscher kompositorischer Einwürfe, haben die Musiker die Braxton-Stücke neu vermessen. Der Großteil des Konzertes bestand freilich aus neuer Musik von Max Nagl, die gleichfalls von Braxtons Tonkunst förderlich inspiriert ist. Die eingangs erwähnten Charakteristika erklangen noch ausgereifter und ineinander verwobener. Von den Musikern unaufhörlich mit Energie gespeist, in der Ausdruckskraft verdichtet, improvisatorisch veredelt. Betreffend Letzterem war jeder der Protagonisten voll auf der Höhe. Innerhalb des Jazzidioms ebenso wie in gezieltem Klangfarbenspiel – individuell in der Stilistik, weitreichend in der Imaginationskraft. Zentralgestirn in Nagls Architektur freier Tonalität bleibt der kollektive Ensembleklang, der auf kniffliger Mehrstimmigkeit, motivischer Reichhaltigkeit, in der melodisches Potential lagert, harmonischer Ausdehnung im Rahmen kontrapunktischer  Fertigkeit, melodierhythmischer Extravaganz setzt. Das Jazzfaible bleibt omnipräsent. Besondere Würze bietet nach wie vor der kauzige Witz Nagls, der ihn auch animierte eine Melodie der Rockband Bilderbuch aufzugreifen, oder einen Landler ironisch aufzuladen. Fein dosiert und nicht zuletzt in Titeln wie „Pullover“, „Mittwoch“, „Plafond“ oder „kervehrt“ niedergeschrieben. Versammelt sind die Kleinode auf dem neuen Tonträger „Pdorvk“ den es zu bewerben galt. Der Besetzung geschuldet wird solchen Projekten gerne das Adjektiv kammermusikalisch umgehängt. Vielmehr sollte man jedoch für lusterbodenmusikalisch plädieren - wegen der Lust die diese Musik bereitet. Nagl hat einen Ansatz anzubieten, der die Idee des „Third Stream“ neu kartographiert. Vielleicht ein „21st Century New Stream“. Super Max.