3. März 2020
Von Hannes Schweiger

Mi 26. Februar 2020
Keiner kommt hier lebend raus
THE END
Sophia Jernberg (voc), Kjetil Moster, Mats Gustafsson (reeds, electronics), Anders Hana (e-g), Borge Fjordheim (dr)

Musikalische Grenzgänge, klangliche Anderswelten, radikale, in authentische Haltung gegossene Formulierungen – diktionsmäßig plural, erwartungsentsagend, überrumpelnd, irritierend, narrativ zwingend. Mats Gustafsson bekennt immer Farbe. Das Konforme, Angepasste war niemals das Seine. Neueste Initiative auf dem unbeirrten Wege ist dieses Kollektiv. Fatalistisch klingt er ein wenig, der Name der Band. Klar, nicht todernst niedergeschrieben. Vielmehr sollte er vielleicht eine Fragestellung sein. Nähert es sich, das Ende? Angesichts der Klimakapriolen, der humanitären Katastrophe im Nahen Osten, der, mit ziemlich viel fragwürdiger Hysterie kommentierten Ausbreitung neuer Virenstämme? Doch die Band streute keine resignative Atmosphäre aus. Ganz im Gegenteil: Energie quoll aus allen Ritzen, in einem Überschwang der Reife und mit gierendem Lebenshunger. Lautstark aber niemals übersteigert. Dieses verdammt ehrliche Klangaufstöbern regt um vieles mehr zum Nachdenken und Reflektieren an, als die anreizlosen politischen Diskussionen und vielen halbgaren Argumentationen aus allen möglichen und unmöglichen Richtungen. Was steckt nun in der „End-Musik“? Die Kraft archetypischer Rock-Rohstoffe aus der Workzone und Praktiken des Neo-Free Jazz. So formt die norwegisch/schwedische Kooperative ein energetisches, kerniges Substrat. Effizientest in sich stimmig. Konzeptionell in elastischer Konfiguration. Stilistische Eigenheiten der ProtagonistInnen schaffen sich in engmaschiger Korrespondenz ihre Aktionsräume. An ausgetüftelten Strukturen wird nicht stur festgehalten, es wird mit ihnen gespielt. So agierte der zweite Saxophonist lange Zeit mit unaufgeregter Motivik, ab und an im Unisono mit der grandiosen „Stimminstrumentalistin“ Sophia Jernberg, die der muskulösen, rock-rooted Kinetik eine flirrende Melodierhythmik beifügte. Schlagzeug und Gitarre frönten einer höchst kreativen Wandelbarkeit ohne je ihre fundamentierenden Rollen zu verlassen. Metrisch vertrackt und außermittig. Schon auch mal ein Black Sabbath Riff andeutend. Untermauert wird somit die Vorrangigkeit des stringenten Bandsounds. Deshalb blieben auch solistische Explorationen vergleichsweise konzise angelegt. Komprimierte Dringlichkeit und Unmittelbarkeit. Kjetil Moster versteht sich vollblütig mit dem afroamerikanischen, freien Tenor-Dialekt verbunden, sehr eigen und betörend, während Gustafsson an Bariton und neuerdings Flöte brillierte. Mit viel Spielwitz verknüpft er den honkenden Rock-Saxophonisten mit dem limitlosen Exzentriker. Als Baritonsaxophonist hat er sich nun mehr denn je einen speziellen Status erspielt. An der Flöte verkündet Gustafsson seine Affinität zur Exaltiertheit von Rahsaan Roland Kirk an diesem Instrument. Wie offenherzig Gustafsson sich jetzt auch als melodischer Fantast ausweist. Geräuschpotentiale vergisst er dennoch nicht. Alles in Ausgewogenheit. Selbige Noisegestik haftet auch an Jernbergs Stimmbändern. Als notwendiger Teil ihres musikalischen Fokus, der sich weiters aus Kunstlied-Intonation, archaischem Schrei und Jazz-Färbung speist. Faszinierend ihre Fähigkeiten und Präsenz. Wofür sie den meisten Freiraum hatte. Der musikalische Endeffekt bot ein imposantes Massiv mit klaren Konturen. Verwegen und verliebt. Von Endstation also keine Rede. Noch wird das Leben gelebt. Und das ziemlich intensiv. Vor dem Hintergrund der letzten Konsequenz.