29. Dezember 2019
Von Hannes Schweiger

SO 22.  und MO 23. Dezember 2019
Ritterspiele oder Der Gitarren-Getriebene
KARL RITTER „ABSOLUT FREI“ & „LIEDERABEND“ feat. WILLI RESETARITS
SO:
1. Set: Karl Ritter (acc-g), Otto Lechner (acc), Melissa Coleman (cello),
2. Set: Karl Ritter (e-g), Herbert Pirker (dr, electronics), Christian Reiner (voc, poetry)

MO:
Karl Ritter (acc & e-g), Willi Resetarits (voc), Chris Kronreif (ts, bs), Andrej Prozorov (ss), Roland Guggenbichler (keys), Erich Buchebner (e-b), Christian Eigner (dr)

Zur Einstimmung der Personale, die seinen 60sten Geburtstag zelebrierte, stand an beiden Abenden die filmische „in depth“-Biographie von Walter Größbauer, die Karl Ritters Lebens- bzw. bunte Musikphilosophie skizzierte, auf dem Programm. Stimmig, entschleunigt fängt der Film Alltagssituationen, Sequenzen musikalischer Begegnungen ein und Ritter erzählt. Mit entwaffnender Ehrlichkeit, sympathisch, integer – ein Humanist.

Langjährige WeggefährtInnen hatte Ritter zu folgender Klangfeierlichkeit gebeten. MusikerInnen die eine entscheidende Rolle auf seinem Musikplaneten spielten und spielen. Sonntags, Motto: „Absolut frei“ im musikalischen Sinne, eröffnete die Trinität Ritter/Lechner/Coleman. Improvisationsenthusiastische Klangideen, vor jeglicher stilistischen Zuordnung gefeit, gingen jäh Hand in Hand. Naheverhältnisse, Sozialisationsumstände unterschiedlichster Herkunft - Geschmacksrichtung Rock, Folklore, Klassik - schwangen zwar mit, erlangten aber auf den individuellen Pfaden der drei ihren qualitativen Eigenwert. Harmonische, melodische, rhythmische Mehrgleisigkeit fand blindlings ihre Einlösung. Wobei die MusikerInnen mit einer exzellenten Gabe für spontane Formfindung operierten. Feinjustierte Zufälligkeiten. Frei determinierte Intuition unter Bezug auf wohlerprobte musikalische Bausteine. Ein illustres, akustisches Setting. Ins emotional Obsessive ging´s im zweiten, den Abend beschließenden Set. Dreizack Ritter, Pirchner, Reiner. Energisch zugespitzt, ad hoc entfesselt. Weiße Wände – Action Playing. Der Guitar Driver plugged. Angeschrägte Akkorde, massige Tontrauben, von trashiger, noisiger Beschaffenheit, transportiert mit verschwurbelter, hackenschlagender Melodierhythmik, schleuderte Ritter hinaus. Pirker trieb seine unvergleichlichen perkussiven Widerhacken in dieses Gebräu. Asymmetrisch, dynamischspektral, extremgelenkig entwarf er Rhythmusstrukturen. Akzente setzte er an den absurdesten Stellen und dennoch folgerte aus jenen Beatextravaganzen ein klares Zeitdiagramm. Noch dazu pflanzte Pirker mit einzigartigem Geschick eine irrlichtende Mikro-Rhythmik in die metrischen Makrostrukturen. Daraus hat er sein ausnehmend individuelles Verhältnis zu primärer Pulsfunktion entwickelt. Perfekter Antrieb für die zerklüftete Melodik Ritters. Ein gefiltertes Konzentrat aus ornettscher Harmolodic und N.Y. Down Town Noise Music. Das lässt Reiner mit maximaler Freiheit seine Textblöcke, seinen Erzählstrang improvisieren. Das bedingt dann auch gelegentlich gutturale Exzesse. Die Energieverdichtung auslösen. Noch exzessiver arbeitete er mit dem Moment der Überraschung. Was den einen oder anderen Besucher verstörte. Provokation findet doch noch statt – ein Hurra. In Abständen griff Reiner zudem die in Real Time gefertigten Visuals, die auf einem iPad realisiert wurden und von Anbeginn inspirativer Teil des Improvisationsrituals waren, auf. Nicht oft erlebt man ein derart durchwirktes Bedingen mehrerer Disziplinen. Es war ein permanenter Rausch improvisierter Exzentrik, die selbst Klischees sich erneuern ließen. Schallmauer und Konventionsästhetik zerbarsten.

Ums gute Lied gruppierte sich alles am zweiten Tag. Zunächst riss die sechsköpfige Band, die ordentlich Spaß hatte, die zahlreiche Besucherschaft mit instrumentalen Ritter-Liedern vom Hocker. Die Lässigkeit im Spielverlauf legte die Vermutung nahe, dass nur Head-Arrangements ausgegeben worden waren. Lediglich den beiden Saxophonisten waren kurze ausformulierte Anweisungen hinsichtlich des thematischen Materials zugedacht. Ansonsten ließ man viel Spontaneität walten. Ritter warf knarzende Riff-Monster,  fette Hooklines ins Geschehen, heißest aufgekocht von der Rhythmusclique und die Saxophonisten segelten solistisch bestechend in erfrischendem Aufwind darüber hinweg. Doch Ritter bündelte die Stücke geschickt mit rockelementaren Einfassungen. Den Bandsound ließ er immer im Vordergrund stehen. Eine Mixtur aus Rock-, Jazz-, Blues-Chiffren die man als gelungene Revitalisierung des Konzeptes der legendären Colosseum hören könnte. Songs in the key of live. Als finaler Glanzpunkt gesellte sich dann die Austro-Rock Autorität schlechthin, Willi Resetarits aka Ostbahn Kurti, hinzu. Am Tapet standen die Songs die Ritter für die Chefpartie klanglich choreographierte. Seine Blues-Rock Neigung schrieb er damit nieder. Allerdings nicht in einer 1:1 Übernahme der etablierten Muster. Sondern der Gitarrist fand durch dissonante Einwürfe, exzeptionelle Verflechtung von Akkord- und SingleNote-Spiel, „außermittige“ Akkordplatzierungen  und der Korrespondenz mit dem Wiener Schmäh der Brödl-Texte seine ureigenste Kreation. Und die Stücke brachte die Band nochmals so richtig zum dampfen. „Dr. Kurt“ eruptierte vor Leidenschaft, trieb die Dramatik in die Höhe, die Blue Notes glühten – auratisch. Inbrünstig standen im alle zur Seite und machten auch solistisch nochmals ordentlich Meter. „Unter Null“, „Gspensta“, „Wan ses mia zwa gebm“ waren einige der Titel die die „Geburtstagsfeier“ abrundeten. Zwei Abende die den außergewöhnlichen Stilisten Karl Ritter und die Kreativweite seines musikalischen Zuganges partiell, inklusive Neugierdefaktor, abbildeten. A gmade Wiesn.