1. November 2019
Von Hannes Schweiger

MO 28. Oktober 2019
21st Century Slanting Blues
ELLIOTT SHARPS´S FOURTH BLOOD MOON feat. ERIC MINGUS
Elliott Sharp (e-g, electronics, devices), Eric Mingus (voc)

Des österreichischen Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres (welch „Ehrfurcht gebietende“ Begriffsschöpfung) Bemühen, zum wiederholten Male die Vergabe des Intercultural Achievement Awards auszurichten, war es geschuldet, dass das Konzert erst zu relativ später Stunde angesetzt war. Um nicht, wie Porgy-MC Christoph Huber auf launige Weise in seiner Ansage anmerkte, der Staatsbürokratie das letzte Wort zu überlassen. Denn das darf im Club ausschließlich die Musik haben. Und es war an diesem Abend ein ziemlich mächtiges. Veräußert von zwei rigorosen Freigeistern, entgrenzten Musikdenkern. Der eine, Elliott Sharp, Multiinstrumentalist/Mehrfachbegabter (Mathematiker, Chaos-Forscher, Instrumentenbauer), der andere, Eric Mingus, Sänger, Poet, Performer, jüngster Spross des großen Charles. Bande zwischen den beiden besteht seit Sharps Projekt Terraplane. Aktuell klangstöbern die beiden als Tandem, gelegentlich um Bass und Schlagzeug ergänzt. Initiiert vom Gitarristen. Einen Song-Zyklus haben sie ausgebrütet. Grundnahrungsmittel: der Blues. Wenn Sharp Blues spielt ist das auch wahrhaftig, jedoch um vieles verschrobener und um einige radikale Klangqualitäten reicher. Tradierte Funktionalismen fürchten sich bei dieser Sensorik nicht vor Neuland. Sharp entwirft eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Ein Elaborat aus Unvorhersagbarem.  Die Songs sind, an die Bluestradition anknüpfend, kurz gefasst. Die Intros bestritt ausschließlich Sharp alleine. Gängige Bluesharmonien tauchte er in Obertonwolken und sonstige elektrisch bedingte Klangeffekte – die Vamps der Stücke. Zumeist unterlegt mit Hip Hop Beats von komplexeren, als sonst üblich, Akzentuierungsabfolgen aus der Elektronikapparatur. Sodann brillierte Sharp mit improvisatorischem Imaginationsvermögen und Spielkunst. Bluesschemen zersplitterten, waren kurzen Noisegewittern ausgesetzt, „punkten“ rotzig, verschwanden in mikrotonalen Verästelungen. Er spielte sich immer wieder in eine Fieberkurve. Die Blues-Urquelle versiegte keinen Moment lang. Derweilen zog Mingus unstet seine Runden auf der Bühne. Plötzlich entrang sich seiner Kehle ein orgiastischer Schrei, den er vor dem Mikro Nachdruck verlieh. Eruptiv seine Baritonstimme. Rührte mit seinen Texten und Vokalismen an Existentiellem. Mit der tiefbeseelten Bluestradition verbunden. Mischte Rap-Untertöne unter. „Shouting“ und „Howlin´“ kamen aus den Tiefen des korpulenten Körpers. Mingus verband sie organisch mit den Melodielinien und Spoken Word Rezitationen. Anregungen von Vater Charles und dessen Sangesfreuden bei Stücken wie: „Oh Lord Don´t Let Them Drop That Atomic Bomb On Me“ oder „Hog Callin´ Blues“ klangen eigenverantwortet durch. Ihr Dialog, abseits der zwölftaktigen Form, wirkte spontan, direkt, lebensdrängend. Call And Response in wunderbarer Weise neu gedacht. Musikalische Vollmondnacht. Ad hoc-Conclusio: Capriccios of „New Blues“.