17. Mai 2019
Von Hannes Schweiger

DI 14. Mai 2019
Schlussplädoyer in der Schallsphäre von „Georgliedern“
GEORG GRAEWE & SONIC FICTION ORCHESTRA  „Grande Finale“
Georg Graewe (p, cond), Frank Gratkowski (cl, bcl), Maria Gstättner (basson), Sebi Tramontana (tb), Sara Kowal (harp), Martin Siewert (e-g, devices), Joanna Lewis (v), Margarete Herbert (cello), Peter Herbert (b), Wolfgang Reisinger (dr) + Gäste: Almut Kühne (sopran), Laura Strobl (viola), Thomas Berghammer (tp)

Ein Stageband-Marathon fand seinen Abschluss. An gebührenden musikalischen Überraschungen, daraus folgernd auch ad personam, ließ es Georg Graewe  in dem für diesen Abend konzipierten Programm nicht mangeln. Gleich von Beginn an. Einem kurzen Piano-Intro, seiner fliegenden Intuitionssynapsik zuzuschreiben – einer Leichtigkeit tiefempfundener musikalischer Wesenheit zugewandt – folgten einige Lieder aus Graewes dahingehender, inzwischen schon umfangreichen Sammlung. Seine Auswahl betraf beispielsweise Kompositionen der Zyklen „zugriffe“ bzw. „Industrial Folk Songs“. Der Pianist strukturierte die Werke in der Diktion des klassischen Kunstliedes. Hinsichtlich der Eindrücklichkeit standen die Lieder im Geiste dodekaphonischer Klangorganisation. So streng diese in ihren Rahmenbedingungen wirkten, durch Graewes jazzverbundener Phrasierung und Artikulation, umgab die Lieder etwas Liquides. Angesichts des durchdringenden empathischen Brückenschlages und technischer Untadeligkeit fanden die Lieder dank der wunderbaren Sopranistin Almut Kühne eine nahezu kongeniale Erweckung. Nicht minder ihr glasklarer, stringenter Ton.

Daran anschließend weitete sich die Ereignishaftigkeit wieder zum Großformatigen. Graewe legte es diesmal auf eine noch engmaschigere Balance zwischen partiturierten Texturen und freien Extempores an. Abgeschlossene und unabschließbare Prozesse bildeten eine substantielle Polarität. In den obligaten, frei improvisierenden Kleingruppierungen war der emotionale Überschwang, die Interaktion noch ein Deut impulsiver und konzentrierter. Jede der Konstellationen drang in die Tiefe, schürfte nach Gold und beförderte es zutage. Ob fulminantes Streicher-Trio, das brennende Trio Gitarre-Bass-Schlagzeug mit grandiosem Free Rock- Fiebertraum der Gitarre, all die hochprozentig kreativen Duos u.a. Stimme/Posaune, Stimme/Gitarre, Harfe/Bass, Schlagzeug/Posaune und mehr. Natürlich durfte auch der „Hit“ des Orchesters nicht fehlen. Zentral: das exzentrische Stehgreif-Duett Fagott/Bassklarinette, nun etwas introspektiver, mit den wallenden Kollektiv-Tutti. Die ausformulierten orchestralen Abschnitte, ebenso als Klangflächen mit komplexen Verstrebungen gestaltet, waren allerdings vorrangig als arrangierte Klangpunkte eingepflanzt - Kulminationsmomente der Spannung. Ein zweites Mal standen dissonanzgegerbte Lieder im Lichte. Reihentechnik und offene Form verschränkend arrangiert. Gegen Ende des Konzertes gesellten sich noch die Bratschistin Laura Strobl und der Trompeter Thomas Berghammer, der ein feines soundgranulares Solo darbot,  hinzu. Dann die wohl unvermutetste Überraschung. Das Orchester interpretiert basierend auf Graewes Unorthodoxie Eric Claptons „Anyone For Tennis“, der Pianist sprechgesangte(!) selbst und veredelte den Song mit einem auf die harmonischen Gestänge bezugnehmenden Solo. Welch Vergnügen. Dass auch das funktionierte belegte, welches Wachstum das Ensemble, gleichwertig wie die Musik seines Leiters, seit Beginn der Stageband-Rolle genommen hat. Graewe war es im Zuge der Arbeitsphase möglich, das Material immer ergiebiger ausdifferenzieren zu können und das Ensemble wuchs in die Rolle hinein, es immer freimütiger in den Korrespondenzstatus bringen zu können. Es sei eine These erlaubt: Georg Graewe nimmt jetzt eine herausragende Innovationstellung ein. Er betreibt den Fortgang seiner primär durch den Free Jazz ausgelösten Musik inzwischen unter der Prämisse ihre Kanäle für alle möglichen substantiellen musikalischen/künstlerischen Einflüsse offen zu halten, zwingend zu bleiben und andererseits auf andere musikalische Ansätze rückzuwirken. Panfunktionale Musik des 21. Jahrhunderts.