Mo 27. August 2018
20:30

Three Motions 'The Ritual – For Cecil Taylor' / reformARTseven (A/USA)

1st Part
Three Motions
Fritz Novotny: various reeds
Paul Fields: violin, piano
Milo Fine drums, piano, clarinet

2nd Part
reformARTseven
Franz Koglmann: trumpet, fluegelhorn
Raoul Herget: tuba
Rina Chandra: bansuri
Fritz Novotny: flute, khene, soprano saxophone
Paul Fields: violin, piano
Johannes Groybeck: groysophon, bass guitar
Milo Fine: piano, clarinet, drums

2006 hätte der einzigartige Tastenmeister im P&B spielen sollen, sagte aber kurzfristig ab, weil ihm eine ausufernde Party in seinem Haus nicht zum Flughafen fahren ließ. An seiner statt spielten Marco Eneidi mit Sunny Murray und Fritz Novotny – In the Spirit of C.T. Zwei Jahre später holten wir übrigens erfolgreich das Konzert mit Cecil himself nach. Nun verabschiedete sich die Ikone des Free Jazz für immer, ebenso wie Eneidi vor längerem und Sunny im Dezember 2017. „For Cecil Taylor“ titelt folgerichtig der Abend des unverwüstlichen Fritz Novotny mit dem amerikanischen Multi-Instrumentalisten Milo Fine aus Minnesota und dem Urgestein Paul Fields. Im zweiten Teil erweitern sich die 3 Motions dann zu Reform Art Seven... Ohren haften für ihre Köpfe! CH

Erhebend, nach 50 Jahren: Himmelfahrt des Free Jazz

Porgy & Bess. Die große alte Reform Art Unit gedachte ihres verstorbenen Trompeters mit dem Motiv von „Ascension“. Von Thomas Kramar, 07.02.2016

Vor 50 Jahren, im Februar 1966, ist ein Album erschienen, auf dem der junge Stil des Free Jazz zu einer Intensität des Ausdrucks fand, die er später kaum mehr erreichen sollte: Aus „Ascension“ von John Coltrane atmete, nein: schrie nicht nur der Geist des Aufbruchs, sondern auch Spiritualität am Rande der Verzückung. Coltrane nannte die kollektive Improvisation für sieben Bläser, zwei Kontrabässe, Klavier und Schlagzeug sehr bewusst eine Himmelfahrt.

Schon vor 51 Jahren formierte der Saxofonist Fritz Novotny in Wien die dem Free Jazz verschriebene Reform Art Unit. Es gibt sie bis heute, als das wohl langlebigste Ensemble seiner Art. Im Dezember 2015 ist Trompeter Sepp Mitterbauer, der wie Novotny von Beginn an dabei war, gestorben. Zu seinem Gedenken spielte die Reform Art Unit im Porgy & Bess ein Konzert in großer Besetzung. Selbstverständlich eine kollektive freie Improvisation, aber diesmal mit einem musikalischen Thema im Zentrum: dem Eingangsmotiv von „Ascension“, einer Fanfare, einem aus fünf Tönen bestehenden Weckruf.

Eine schöne, rührende Idee, Mitterbauer mit diesem Himmelfahrtsmotiv zu ehren! Es riss auch alle 13 Musiker empor. Kaum war es – nach einer anfänglichen Meditation der Holzbläser und Streicher – erstmals erklungen, war das Feuer da. Und erlosch nicht mehr, eine gute Stunde lang, auch in den ruhigeren Passagen, wenn etwa Paul Fields mit seiner Geige und Karl Wilhelm Krbavac mit seiner Viola da Gamba miteinander sprachen. Unterschiedlicher können Temperamente kaum sein – Fields behält selbst im Sturm sein sehr wienerisches Phlegma, Krbavac spielt wild wie seine Mimik, am Rande zur Zerfahrenheit –, und doch fanden sie einander und dann den versunkenen Fagottisten Alaeddin Adlernest, der immer mehr wie Albert Einstein aussieht, gleich dazu.

Dass das Spiel nie zerfiel, wie's bei freier Improvisation oft passiert, lag auch an den ordnenden Händen von Schlagzeuger Wolfgang Reisinger: Er hörte Rhythmen keimen, förderte sie behutsam, statt sie, wie es manche Free-Jazz-Schlagzeuger machen, zu zertrampeln. Die zwei Bassisten – Johannes Groysbeck am elektrischen, Reinhard Ziegerhofer am akustischen Bass, auch sie grundverschieden im Duktus – machten da mit, einmal fanden sie mit Reisinger gar zu einem Rockjazz-Groove, der an Miles Davis' „Bitches Brew“ erinnerte, vielleicht auch, weil wie auf diesem Album eine pointierte Bassklarinette (Georg Graf) kräftige Akzente setzte.

Alle solieren, niemand soliert
Bemerkenswert im Unterschied zu Coltranes „Ascension“: Bei der Reform Art Unit sind die Solos deutlich kürzer, das mag auch daran liegen, dass das Jazzsolo in den vergangenen 50 Jahren in den Geruch gekommen ist, zu oft der Protzerei mit Virtuosität zu dienen. Von dieser hört man in Novotnys Kollektiv erfrischenderweise nichts, oft stacheln einander zwei oder mehr Solisten so neidlos an, dass man an das Motto eines anderen österreichischen Jazzers, Joe Zawinul, gedacht hat: We always solo, and we never solo.

Innig, fast wehmütig endete die zweisätzige „Edgar Allan Poe Suite“, dann rief der launige Krbavac zur Zugabe. Aus dieser hörte man die schmeichelnde Melodie von „Somewhere over the Rainbow“ heraus, im guten Free Jazz ist alles, auch das erlaubt. ("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2016)