Feb. 27, 2023
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

DO  16. Februar 2023
Gegenwartstransfer zwischen Kalkül und Intuition 
FABIAN DUDEK QUARTET
Fabian Dudek (as, fl, melodica), Felix Hauptmann (p, synth), David Helm (e-b), Fabian Arends (dr, perc)

Gleich vorweg, ein Verwandtschaftsverhältnis zu dem großen deutschen Saxophonisten Gerd Dudek(verstarb im Herbst vergangenen Jahres) existiert nicht. Was Gerd und Fabian allerdings in Verwandtschaft setzt, ist beider außergewöhnliches musikalisches Profil. Wie Gerd Dudek ist auch Fabian Dudek(Jahrgang 1995) bereits in jungen Jahren ein zutiefst eigenständiger Stilist und meisterlicher Konzeptionist. Von kindauf mit großem Herz für Jazz, aber auch offenen Ohres für jedwede andere avancierte Musikform. Fabian Dudeks Stern ging vor einigen Jahren so richtig im deutschen Bundesjazzorchester(aka BuJazzO) auf. Seitdem ist er ein leuchtender Kreativkopf des dortigen Jazzlebens, der jetzt folglich auf dem Weg zu globaler Bekanntheit ist. Ansässig in Köln hat er sich mit Kollegen von ebendort, gleichsam auffallend profunde Könner, zum Fabian Dudek Quartet zusammengetan. Dieses positioniert er als weiteren relevanten „Verstärker“ der aktuellen Jazzkultur. Nun erstmals in Wien, an der ersten Jazzclubadresse der Stadt. Zu Beginn stand ein vom Komponisten Morton Feldman inspiriertes Stück, mit den Eigenschaften kleinräumiger rhythmischer Muster, unstrukturierter Zeitfluss, Klangexpansivität, die mittels jazzharmonischer Waghalsigkeit, zwischen Time-Markierung und asymmetrischer Pulsation hin und her springender Motorik sowie improvisatorischer Exzentrik zu changierenden, bewegten Klangflächen montiert wurden. Sofort wurde man gewahr, wie aufregend vielschichtig die Musik gebaut ist. Und hier ergehen sich die Musiker in einem Füllhorn an wunderbaren Ideen. Geplant sind die Strukturen und Texturen mittels komplexer polyphoner Technik - sie funktionieren aber immer unmittelbar verlockend. Partikulare Ereignisaussparungen forcieren zusätzlich den Spannungsgrad.

Herber Lyrismus steht in zupackender Wechselwirkung mit dringlicher Dramatik. Linear polyphone Beschaffenheit, freie Kontrapunktik, mit melodischem wie rhythmischem Raffinement, in der Interaktion regen den pantonalen Schaffensansatz permanent an. Fortwährend schwellt ein unbeschwerter Energiestrom, eine offensive Ruhelosigkeit. Konkreter Raum und das offene Feld stehen in der Musik des Quartetts gleichberechtigt Ohr an Ohr. Mit unverhohlener Klarheit kann sich darin alles frei entfalten.  Die ad hac deklamierten Improvisationen wirken uneitel virtuos. Quellen vor Laune und Imagination über. E-Bassist Helm, mit seinem vollmundig rundem Ton, sah sich nicht alleine in harmonischer Funktion sonder ebenso als Initiator melodischen Gegenspieles. Dem folgte im Zusammenfluss das erstklassige Tun, polymetrischer/-rhythmischer, zeitgliedernder Vielfalt, des Schlagzeugers Fabian Arends. Eindrucksvolles pianistisches Können wie auch hinsichtlich variabler Auffassung von Harmonik(für die er auch sehr durchdacht Elektronik heranzieht) und Melodik gingen Hauptmann völlig gelöst von der Hand. Und Kapellmeister Fabian Dudek stülpte gleichsam sein Innerstes nach außen. Enorm an Körperlichkeit baute er Plattformen, schlug Breschen, bahnte individuelle Wege. Kehlig sein Sound in den tiefen Lagen des Altsaxophones, famos kontrolliert die entwickelte Überblastechnik. Seine flüssige Phrasierung, melodischen Wendungen, expressiven Tonwandlungen evozieren höchsten Eigengehalt. An der Flöte perkussiv klangfarblich. Hier ist ein dezidiert integratives Kollektiv am Erfinden, das einer Symbiotik von kollektiver und solistischer Kreativität folgt -  Architektur der Intuition. Die Musiker stehen auf den Schultern der Innovatoren des freiformalen Jazz der Free Jazz-Dekade. Verstehen allerdings mit eigenem Tonschatz und juvenilem Feuereifer anhand würdigenden Aufgreifens jener Errungenschaften, diese in kontemporäre Inhaltlichkeit zu transferieren. Worauf das zukunftsbeflissene Quartett zudem stichhaltigst hinweist: die unersetzliche Wesensspende des Jazz – Lebensintensität, Spielekstase, Empathie.