Jan. 12, 2023
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

DO  29. Dezember 2022
Weitergedachte Genese der Jazzoper
JAZZORCHESTER VORALBERG & RENEE BENSON „LEELAH“
Renee Benson (voc, lyrics), Vincent Pongrácz-comp, Martin Franz, Klaus Peter, Anna Tsombanis (reeds), Martin Eberle, Bartholomäus Natter (tp), Jason Pfiester (frh), Jan Ströhle, Phil Yaeger (tb), Thomas Halfer (tuba), Benny Omerzell (key), Peter Rom (e-g), Manu Mayr (e-b), Christian Eberle (dr, perc)

Eine Jazzoper zu komponieren übte allemal Reiz auf JazzmusikerInnen aus. Viele hegten Ambitionen, aber nur wenige setzten diese in die Tat um. Von den jazznahen Werken zu Beginn des 20. Jhdts  von Scott Joplin, Ernst Krenek oder George Gershwin gelten Carla Bleys „Escalator Over The Hill“(1968-71) und George Gruntz´ „World Jazz Opera“(73) als erste dieses Idioms. Also aus dem Verständnis von JazzmusikerInnen für JazzmusikerInnen geschrieben und  dem unerlässlichen Bedacht auf moments musiceaux und deren spontaner Imaginationskräfte. Nach wie vor stürzen sich MusikerInnen in diese Aufgabe. Aktuelles Beispiel ist die in enger Zusammenarbeit der afroamerikanischen Sängerin/Poetin/Performerin Renee Benson (aka Sista Raie) mit dem Klarinettisten/Komponisten/Vokalisten Vincent Pongrácz und in Folge mit dem ausführenden Jazz Orchester Vorarlberg(kurz JOV) entstandene zeitgenössische Jazz-Oper „Leelah“. Die Textdichtung stammt von Benson, die Komposition von Pongrácz – bestehend aus einem Zyklus von elf Stücken. Benson eine der starken Künstlerpersönlichkeiten und markanten Gesangsstimmen der jüngeren afroamerikanischen Community und seit längerem mit der jüngeren österreichischen Jazzszene in Verbindung, bildet mit Pongrácz, ihm muss man fraglos das Prädikat hervorstechender Komponist seiner Generation zusprechen, eine Wiege der Kreativität, wodurch eine explizit eigenständige Synergie von Wort und Klang in geflügelter Geste ihren Ausdruck fand. Inhaltlich entspinnt sich die Geschichte um das achtjährige Mädchen „Leelah“ und seinem mysteriösen Spielzeug, das erst nach Auflösung rätselhafter Aufgaben sein Geheimnis freigibt und beschreibt in einem zweiten Ansatz wie sich Leelah in einer digitalisierten Welt ihre kindliche Unschuld zu bewahren versucht. Benson nimmt das auch mit aller Dramatik in ihrer Gesangsdarbietung war. Ihr Stil ein Hybrid aus Soulfeeling, offen artikuliertem Rap, ein wenig Koloratur und scharfer Jazzphrasierung. Womit sie ihre auffallende Kommunikationsfähigkeit, von beeindruckender Bühnenpräsenz unterstrichen, mit dem bestens disponierten Orchester beweist. Diesem hat Pongrácz  ein kongeniales Spielfeld aufbereitet. Musik, farbvariabel schillernd, feinziseliert, wollüstig. Die Zartheit, Heftigkeit, Liebe und Ungestüm kennt. Destilliert aus den Inspirationsquellen Jazz(mit progressivem Hang), seriellen Prinzipien und Hip Hop. Ohrenfällig schichtet sich eine komplexe formale Struktur auf. Doch signifikant ist die pointilistisch Anordnung, die einem elastischen Konstruktivismus folgt. Das bewirkt Transparenz, die labyrinthische Bläsertutti, freitonale Miniaturen, repetitive Muster, kammermusikalischer Filigranität und immer wieder pumpende Basslinien, flankiert von tiefen Blech, zum Leuchten bringt. Nicht zuletzt wiederum Platz schafft für improvisatorische Ausreizungen. Feinst soliert von einigen Könnern dieser Zauberberg-Formation. Martin Eberle dringt musikvirtuos in jeden Winkel seiner Trompeten vor,  Phil Yeager wird immer mehr zu einem prägenden Posaunenstilisten, am Sopransaxophon zieht Martin Franz Register der Virtuosität und der Komponist selbst lässt auf der Klarinette die Phantasie abheben. Zumeist wie auf glühenden Kohlen tänzelt die Musik rhythmisch dahin. Komplex gebaut, vertracktest in Akzentuierung und Schlagpatternabfolge. Da glänzt der andere Eberle. Etwas von der Würze einer Carla Bley, von Eisler und Weill schmeckt man auch. Doch Pongrácz bleibt speziell persönlich in den Voicings seiner kaleidoskopischen Arrangements. Zumal der Einbezug der Singstimme in den harmonisch differenzierten  orchestralen Satz, eine ziemlich optimale Ausnutzung der musikalischen Mittel zur Deutung des Textes, der Handlung offenlegt. Bravourös erschaffen und erweckt. Die konzertante Jazzoper könnte hiermit neuen Anreiz erhalten. „Leelah“ ist soeben als Doppel-LP (ausschließlich) auf dem Jazzwerkstatt-Label veröffentlicht worden. Unbedingt nachhören.