Nov. 2, 2021
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

FR 22. Oktober 2021
Ramblin´ on
BROKEN SHADOWS feat. BERNE, SPEED, ANDERSON & KING
Tim Berne (as), Chris Speed (ts), Reid Anderson (b), Dave King (dr)

Vom Fleck weg traten die vier Kapazunder aus dem „Schatten“ Ornette Colemans und vergruben sich mit eigenen Köpfen in dessen unerschöpflichem Melodienhaufen, der, wenn man so will, zur „Milchstraße“ des Jazzuniversums gehört. Immer wieder aufs Neue erliegt man der Eloquenz, Dringlichkeit, singbaren Natürlichkeit des Melodiefundus. Gunther Schuller sprach einmal von deren tiefer innerer Logik. Tim Berne, der sich seinerzeit unter der Leitung von John Zorn in dem kurzlebigen Projekt „Spy vs Spy“ bereits intensiv mit der Musik Colemans auseinandersetzte, über den Zugang eines radikalen Noise-Music Ansatzes, legt mit seinen Neigungsgenossen in beeindruckendster Weise eben genau diese „Blutbahnen“ , das „Nervensystem“ von Colemans Musik frei. Zu erleben war das diesmal noch intensiver. Und auch selbst versetzten sich die Musiker auf kürzestem Wege in eine eruptive Spielekstase. Den ausgewählten Themen, am Programm standen u.a. „Street Woman“, „Ecars“, „Una Muy Bonita“, „C.O.D.“, „Broken Shadows“, blieb die colemantypische Charakteristik erhalten. Unisonopassagen der beiden Saxophonisten in teils irrwitzigem Tempo, deren Melodierhythmik oftmals in höchster Feinjustierung von der Bass/Schlagzeug-Einheit kontrapunktisch angereichert wurden, mündeten ab und an in inhaltsteigernde Bridges, paraphrasierende Simultanimprovisationen der Bläser, ehe sie, jedes Stück betreffend, solistisch nach den Sternen griffen. Berne mit bissigem, verdichtetem Ton, vertrackten Einzeltonschritten, präzise montierten Klangbändern, allerhand erweiterten Techniken und Chris Speed, der tenortraditionverwurzelte Freigeist mit Feinjustierung zwischen Hektik, Entschleunigung und Balladeskem. Semiotik von exzeptioneller Qualität und es zeigt das sensorische Empfinden welches unter Berne und Speed besteht, allerdings nicht zuletzt auch innerhalb der ganzen Band. So triumphierte ein besonderer Sinn für melodisch-motivische bzw. rhythmisch-metrische Fortspinnungen, in denen einerseits frei durch Tonarten flaniert, auf tonale Zentren zwanglos Bezug genommen wurde, aber immer  ein Faden zu den Coleman Kompositionen bestand. Wenn auch da und dort funktionsharmonisch entkoppelt.  Indeterminiertheit bestimmte andererseits über weite Strecken die motorische Inhaltlichkeit der Musik. Noch kompromissloser dominierten freipulsierende, asymmetrische Beatbewegungen, welche die metrische Offenheit der Originale noch intensiver wirken ließ. Anderson und King zeigten ebenso an diesem Abend außerordentliches Ausnahmekönnen. Detto konnte es wahnsinnig periodisch swingen und kernig funken, wenn z.B. beide zusätzliche Stücke von Julius Hemphill („Dogon A.D.“), Dewey Redman („Walls-Bridges“) oder Charlie Haden („Song For Che“ – mit einem unter die Haut gehenden Bass-Intro) vom Boden abheben ließen. Colemans „harmolodisches“ Konzept, mit seinen fragmentarischen Melodiefortschreitungen, dem speziellen Prinzip der Intervallik, der ausgedehnten homo- bzw. polyphonen Mehrstimmigkeit, der rhythmischen Expansivität, treibt die Quadriga im Sinne des Meister weiter voran und manifestiert den Unvergänglichkeitsstatus dieser musikerneuernden Jazzkunst. Und natürlich Colemans anhalten Einfluss auf MusikerInnen diverser Stilistiken. Vielleicht könnte man Colemans „Harmolodic“-Vision/Philosophie in Kürze so zusammenfassen: „Entscheidend ist, wie Melodik und Harmonik in eine rhythmische Strategie integriert werden.“

Art Of The Improvisers Of Human Feelings. Besser wie an diesem Abend nicht erschaffbar.