Oct. 2, 2021
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

MO  27. September 2021
Goldfingers and Diamondhands & -feets
BILL FRISELL TRIO
Bill Frisell (e-g), Thomas Morgan (b), Rudy Royston (dr)

Jegliche Art von Superlativen wurden herangezogen, das ganze Arsenal überschwänglicher Adjektive von vorne bis hinten, von oben bis unten aufgeboten - einzigartigst, grandiosest, famos, phänomenal, brillant, virtuos, überragend- , um die ungebrochen einflussausübende Ausnahmestellung von Bill Frisell einer Deutung zuzuführen. Und das immer und immer wieder, was sich mittlerweile einem inflationären Status annähert bzw. einem gebetsmühlenartigen Abrufen gleicht. Ja doch, es ist alles zutreffend was da über Bill Frisell verkündet wird. Da gibt es nicht den geringsten Zweifel daran zu hegen. Wie reflektiert man nun halbwegs interessant, angemessen eine weitere Sternstunde wie sie der musikalische Breitbandspezialist respektive gitarristische Alleskönner an diesem Abend abhielt. Vielleicht mit folgenden Fakten: Kennen Sie jemanden der mit der gleichwertigen Selbstverständlichkeit Songs von/mit Marianne Faithfull oder Elvis Costello, die kühlen Klanglandschaften von Jan Garbarek, die radikalen Irrwitzigkeiten von John Zorn Projekten, die funkige Lässigkeit der Julius Hemphill JAH Band, die perkussiven Kolorierungen eines Paul Motian oder Andrew Cyrille, den hymnischen „Jazz-Folk“ eines Charles Lloyd, solch schwermütige Soundwelten der Drone Doom Pioniere Earth, komplexe Kompositionen eines Gavin Bryars und noch einiges mehr, in seiner unnachahmlichen Eigenwilligkeit bereichert bzw. entscheidend trägt? Das wäre zunächst das eine. Sprechen wir jetzt von seiner eigenen innovativen, musikalischen Schaffenskraft. Welche Ausdruck findet in so unterschiedlichen Gruppierungen/Einspielungen wie der Bill Frisell Band, The Willies, The Intercontinentals, Projekten wie Nashville, Blues Dream, „Have A Little Faith“, „Before We Where Born“, „Ghost Town“, „Music Is“, „Valentine“ und in diversesten Trios wo wiederum so illustre Persönlichkeiten wie u.a. Paul Motian, Elvin Jones, Ginger Baker, Ron Carter, Charlie Haden, Dave Holland zur Tat schritten. All das spricht für sich, doch genug des Droppings. In den ersten Zeilen des Titelsongs „Goldfinger“ vom gleichnamigen Bond-Film, den Frisell mit seinem Trio an diesem Abend mit nicht zu überbietender Sophistication auf Mission schickte, finden sich treffendste Entsprechungen hinsichtlich des Gitarristens Können. Die da lauten:

He's the man, the man with the Midas touch,

Golden words he will pour in your ear.

(Midas war ein phrygischer Sagenkönig, der durch Berührung alles zu Gold werden ließ. Und auf Frisell übertragen, muss es „Golden Sounds“ heißen, Anm. d. Verf.)

Frisell hat wahrlich zehn Goldfinger. Da pickte er spitze Klänge aus den Saiten. Plötzlich verteilt sich der Blues in alle Richtungen. Aus Schwellton-Arpeggien schälten sich Jazzharmonien heraus, die der Gitarrist in kauzige Countrymusic-Hooks ummünzte. Noise-Geprassel komprimierte Frisell im Moment zu hardrockenden Riffbergen. Greift er dann lustvoll Rockabilly-Schemen auf, so geschehen in der geforderten Zugabe, transformiert er diese zu schräglagigem „Frisellabilly“. Gebündelt ist all das in vorbereiteten Themen- und Motivblöcken. Die Verbindungsereignisse entsprangen kollektivimpovisatorischer Vielschichtigkeit. Außerordentlich der angewandte Interaktionsgrad. Von Frisells singulärer Phrasierung-, Intonationsweise und den charakteristischen Färbungsharmonien geprägt. Weiters von der melodisch harmonischen Sensorik zwischen Frisell und Morgan, auch ein Melodiephantast mit speziellem Händchen. Den passgenauen rhythmischen Zubau verabreichte Rudy Royston. Schlagzeuger mit Diamanten-Standard – technisch, musikalisch vollkommen. Wie die anderen beiden untrügliches rhythmisches Feeling das ihre nennen, ist Royston melodisch sensibilisiert. Was breiteten sich da für kontrapunktische, Off-Beat-mäßige Kostbarkeiten aus. In metrischen Verschachtelungen, als auch in der geradlinigen Periodizität eines 4er-Taktes. Und Frisells Melodiefundus ist fraglos eine Rarität. Einmalig wie sich Schönklang und Dissonanz bricht, verquickt, bedingt. Den damit verbundenen Umgang Frisells mit elektronischen Devices wie Volume Pedal, Delay, Sampler, Reverb beherrscht niemand sonst in dieser Weise. Erwähnte signifikante Schwellklänge des Gitarristen verkörperten das Hauptmerkmal dieses in einem Gus vermessenen Klangereignisses. Ein entschleunigt vitaler Drive jenem eingeschrieben. Improvisatorisch verlief es in gerahmter Freiheit mit Bedacht auf flexible Formgebung. Unentwegt vollzogen sich fleißende Verschiebungen zwischen horizontalen und vertikalen Prozessen – kohäsiv gedacht. Breit aufgefächert war ebenso die Dualität zwischen Introspektion und Extravertiertheit. Zusammengezogen eine, wie stilistisch, kongeniale Liaison. Musik in durchhörbarer Hochverdichtung. Verortet an den Rhizomen der Auslösung, in substantiellsten Progressionen austreibend. Mit seltener Gabe umgeht Frisell stilästhetische Typisierungen. Er stellt die binnenstrukturellen Affinitäten von Stilmerkmalen her. Frisells Ansinnen ist die Einheit in der Vielfalt. Kosmos Frisell - mondiale Improvisationsmusik cum laude.