June 4, 2020
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

SA 30. Mai 2020
Let Freedom Ring – Angular Blues Solo
WOLFGANG MUTHSPIEL
Wolfgang Muthspiel (acc- & el-g, vocals, electronic devices)

Wir, die in der Umlaufbahn des Planeten Kultur, saßen ja allesamt in den letzten Tagen schon auf Nadeln. Und dann dieser Samstag, das Porgy & Bess konnte seine Pforten für BesucherInnen wieder öffnen. Da kommt einen in den Sinn, schließlich befinden wir uns ja auch in einem beethovschen Jubiläumsjahr, „Oh Freude schöner Götterfunken“. Natürlich alles unter den hinlänglich kommunizierten Prämissen der pandemiebedingten gesetzlichen Vorgaben/Einschränkungen. Maßnahmen, die die Grundrechte ordentlich durchgebeutelt und in den Schraubstock gespannt haben. Ein solches gehöriges Maß an staatlicher Fremdbestimmtheit nagt schon gehörig am mentalen Kostüm eines/einer jeden. Dazu noch die an Erfrierungen leidende Sozialhygiene. Wohlgemerkt diese entsprechenden Verordnungen/Empfehlungen besaßen gerade in den Anfängen der Krankheitsverbreitung ihre Berechtigung wovon die Erfolge bei deren  Eindämmung zeitigen. Eingedenk aller Fürs und Wieder, die jüngst ein Zwist zwischen Virologen (deren Anzahl erstaunlich ist), der ein unpassendes Niveau an den Tag legte, befeuert wurden. Mittlerweile ist man doch der Covid 19-Auseinandersetzung schon etwas müde geworden, was nicht heißen soll, dass diese Gesundheitsgefährdung ein vernachlässigbares Faktum geworden ist. Dennoch sei eine kurze Anmerkungen zu teils skurrilen Neuerungen bzw. schon, sich jetzt umso mehr bestätigende, länger schwelenden Versäumnissen gestattet. Wir lernten beispielsweise, dass der Urmeter ausgedient zu haben scheint. An seiner Stelle rückt der Babyelefant (??!!) als Metermaß der Dinge ins Bild. Da rollt es einem irgendwie den Rüssel auf. Mit den Mund-Nasen-Schutz Masken haben wir annähernd eine Vorstellung bekommen, wie es teils Frauen in konservativ-islamischen Gesellschaften mit Verhüllungen dieser Gesichtsbereiche ergeht. Da drängt sich schon die Frage auf, ob das gerne aus freien Stücken gemacht wird. Doch die hierzulande ernüchterndste, schmerzlichste Lektion die Kulturschaffende, -präsentierende & -erlebende erteilt bekamen, trug sich im Zuge der schrittweisen Lockerungen der Restriktionen in den einzelnen Lebensbereichen zu. Angesprochen ist jene äußerst geringe Wertschätzung respektive die teils erschütternde Unwissenheit der politisch verantwortlichen RepräsentantInnen gegenüber der gesellschaftsrelevanten Bedeutung von Kulturschaffen. In ganz besonders hartem Maße wurde die „Freie Szene“ in Mittleidenschaft gezogen, deren ProtagonistInnen förmlich alles an Einkommensquellen wegbrach. Hier braucht es Orte und Betreiber mit Initiative/Ideen und Improvisationsgabe. Im Jazzbereich bewiesen dies reaktionsschnell die Macher des Porgy & Bess. Deren künstlerischer Leiter Christoph Huber stimmte von Beginn an zurückhaltend in den berechtigten Aufschrei der heimischen Kulturszene angesichts des radikalen, perspektivebefreiten Shutdownes ein. Er äußerte zu diversen Gelegenheiten unpolemisch seine Bedenken, sein Unverständnis, entwickelte/realisierte aber zeitgleich mit dem innersten Porgy-Team in Zusammenarbeit mit dem Medienlabor der Akademie der bildenden Künste Wien unter Leitung von Friedemann Derschmidt das Live-Stream Projekt „The show must go on(line)“ – ein Konzertservice in die eigenen vier Wände in Echtzeit, sozusagen aus dem „virtuellen“ Club. Zweimal die Woche – ein „Ruf-Zeichen“. Dessen wesentlichster Ansatz war die Auszahlung einer Gage an die MusikerInnen und das „Pay as you wish“-Angebot an die NutzerInnen. Mit viel Kenntnisreichtum um das österreichische „Jazzhaus“ hat Huber einen repräsentativen, hochqualitativen Überblick über dessen vielzahlige, außerordentlich „Begabte“ angelegt. Retrospektiv angerissen: begonnen hat es am 4.4. mit einer spielfreude- und kreativitätquellenden, famosen Performance des Duos 4675 (Astrid & Beate Wiesinger), es folgten bis dato u.a. ein freiimprovisierter, nach den Sternen greifender Balanceakt des Trios Leo Riegler/Clemens Salesny/Lukas König, eine alles beinhaltende Moped-Spritztour des Max Nagl Trios, Peter Herbert mit einem asketisch verdichteten, um den Wesenskern kreisenden Recital, ein gravitätischer Klangflutenakt von Karl Ritter, frei evozierte Klangziselierung des Anna Tsombanis Trios.

Einer unausweichlichen Neuaufstellung der politischen Kulturagenden in der Regierung zufolge, wurden dann doch überraschend schnell Kriterien verlautbart unter denen Indoor-Veranstaltungen mit begrenzter Publikumszahl abgehalten werden können. Wohlgemerkt kann dies nur eine kontemporäre Übergangslösung sein. Die prekäre Situation bleibt allgegenwärtig.

Wolfgang Muthspiel war es gegeben diese „Premiere“ musikalisch auszurichten. Ein bewegendes Stimmungsbild erfüllte den Club. Zunächst betrat Hausherr Christoph Huber die Bühne, griff beherzt seine seit einiger Zeit ungewollt ruhend gestellte reale Rolle als MC auf und ließ seiner Freude über den Re-Start mit Publikumsanwesenheit freien Lauf.  Genau dieses Aufatmen, diese partielle Freiheit fasste Muthspiel in wiederspiegelnde Klänge. Er spielte ganz groß auf. Mit all dem Gewicht in den Tönen. Aus einem bemerkenswerten Verständnis für Vielfalt und Nuancenreichtum heraus. Verschenkte ein austreibendes melodisches Odeur, häufte einen harmonischen Zauberberg an, versetzte alles in eine stupende, rhythmische Gefinkeltheit. Vorerst an der akustischen Gitarre. Klassische Bezugspunkte, die auf Gitarrenmusik des frühen 20. Jhdts verwiesen, verwob Muthspiel mit der Summierung der Jazzgitarrengeschichte. Ungekünstelt logisch, gläsern in der Architektur, mit ausführlicher, kompositorischer Komponente. Oftmals verband der Gitarrist Stücke mit improvisatorisch inszeniert wirkenden, bedingenden Zwischenspielen. Der Griff zur E-Gitarre förderte ein aufgerauteres Klangbild. Zunutze machte sich Muthspiel hierbei diverse elektronische Effektgeräte, die er inhaltlich bereichernd aus dem Effeff bediente. Samples, Loops unterfütterten flirrende Single Note-Läufe, abenteuerlustige akkordische Architektur. Er illuminierte Chorusse über einen Standard wie „Darn That Dream“, überlagerte in einer Hommage an den senegalesischen Musiker Youssou N´Dour Melodierhythmen, Tempos, improvisatorische Ereignisse – atemberaubend. Den einen oder anderen Song gab es auch noch. Damit belegte Muthspiel wie er seine oft skeptisch betrachteten Sangeskünste auf ein neues Qualitätsniveau gehievt hat. Besonders deutlich zu erleben in er Eigenkomposition „Angels Will Envy You“, wo er mit unorthodoxen Intervallsprüngen, weiten Tonlagenwechsel operierte. Einer Rockästhetik zugeneigt, stellte sich eine Affinität zu der vertrackten Songwriter-Kunst von Tim Buckley ein. Dito außerordentlich zwingend und heißhungrig, aber nie unbedacht völlernd. Wolfgang Muthspiel kultivierte und expandiert das Narrativ des Lyrischen. Vermessen in einem polytonalen Kontinuum. Bestimmt von emotionaler Tiefe, den Pendelbewegungen zwischen Entschleunigung und Forcierung. Der Saitenvirtuose gibt sich dabei souverän attitüden- und klischeefrei. Blues ohne Tabus. Live and in living colour is back. Gefühlt ließ sich der Abend an, als würde man die Platten Freedom Now Suite, Freedom Suite, Let Freedom Ring, Free For All, Free Jazz, Free At Last auf einmal hören.