May 25, 2019
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

MI  22. Mai 2019
Organic Saxophone & Nordic Rhythm Walking
DAVID MURRAY / INGEBRIGT HAKER FLATEN/ PAAL NILSSEN-LOVE
David Murray (ts, bcl), Ingebrigt Håker Flaten (b), Paal Nilssen-Love (dr, perc)

Ein kurzer frenetischer Kollektivanstoß. Dem folgt ein nuancierter, quecksilbriger Schlagzeug-Donner, der sich in perfekten rollenden Schlagmustern ausbreitet. Körperlichkeit, Sinnlichkeit, Direktheit sprudeln in gehörigem Maße aus Nilssen-Love hervor. Doch nicht blindlings, wie er manchmal im Trio The Thing den Eindruck erweckt. Differenziertheit, detailreiche Phantasie sind seine Beweggründe. Langsamkeit des Seins ist nicht Nilssen-Loves Ding. Im Sog der Antriebskraft wird das Schlagfiguren-/Rhythmus-Konglomerat zu einem mächtigen, mitreißenden Ding. Auch funktioniert es mühelos, das afro-amerikanische Jazz-Schlagzeugverständnis mit der spröd-abstrakten europäisch perkussiven Klanglichkeit des frei improvisierenden Herangehens zu verschmelzen. Sich am Beat gütlich tun, ihn allerdings auch freudig ins Freie schleudern. Der Bassist lässt hier nun ebenso wenig locker. Rasant im Interplay, in seinen Soli jedoch mit einer nicht ganz verständlichen, übersteigerten Exzentrik, ringt er seinen Saiten die Töne ab. Swingt dabei noch etwas rotzig. Wohlweislich druckvoll. Wirklich rund, plötzlich war in explosiven Walking-Lines der Ton dem Holz so nahe, wird’s bei ihm erst viel später, nachdem Kolossal-Saxophonist David Murray unaufdringlich die Time-Spezifika des Jazz-Herzens im Trio fest verankerte.

Damit wären wir bei dieser Tenorsaxophoninstanz der Jazz-Gegenwart. Immer noch ist er der vollkommenste Instrumentalist/Stilist auf diesem Horn. Mit dem wohl markantesten, zwingendsten Ton. Murray muss nicht viel Anstrengung unternehmen um Lester Young, Coleman Hawkins, Sonny Rollins und Albert Ayler ins Boot zu holen. Ihnen für ihre jazzmusikalischen Erweckungen Wertschätzung erweisend, breitet Murray sein nun State of the Art repräsentierendes Profil aus. Wirft er Traditionsbrechungen ein, nicken die Granden ihm begeistert zu. Wie einzigartig er phrasiert, unter jeder Klappe eine Überraschung, seiner Artikulation ist mühelos alles gegeben, Changes bringt er in neue Proportionen, lässt sie sodann entgrenzt sich in die Fluten stürzen. Chorus um Chorus türmt sich ein Gebirge auf. Diese furchtlosen Klänge sind dick, strähnig, kraftstrotzend. Aus der Tiefe der schwarzen Seele. Aufsteigend zum schneidenden, schwirrenden Schwarm. Nicht leicht verdaulich da, blues-/ gospelversunken singbar dort. Oder harmonisch/melodisch temperiert, dann im nächsten Moment selbstbewusst schreiend. Regulative sprengend. Eine würdige Version eines Aretha Franklin Stückes drängt sich in das kathartische Aufbäumen, das drängende Sich-Vorwagen der verschränkten Simultanimprovisationen. Sodann eine fast schon beschwörende Auslegung von Yusef Lateefs „Plum Blossom“. Strukturell verwegen erinnert man sich an Butch Morris. Während das Tenor das Herz entflammt – wuchtiger im Ton kaum vorstellbar, wärmt die Bassklarinette die Seele – und windet sich tänzelnd. Ein Zauberer. Murray genießt die Partnerschaft mit den norwegischen Vollblutmusikern. Die wollen scheint´s, ihr energetisches Entfesseln vielschichtiger abhandeln, verzweigen, jazzweltlich größer denken. Mit einem neugierdegetriebenen Jazzuniversalisten wie David Murray steht einem alles offen. Ein Kraftwerk, ein Impulsspieler. Und die drei stehen erst am Anfang.