Jan. 12, 2018
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

DO 11. Januar 2018
Introspektiver Gleitflug
MARK TURNER/ LARRY GRENADIER/ JEFF BALLARD - FLY
Mark Turner (ts), Larry Grenadier (b), Jeff Ballard (dr)

Tradition wird generell als Übernahme bzw. Weitergabe von Bräuchen, Konventionen und Erfahrungen definiert - über Generationen hinweg.  Auf die Haltung des Jazz umgesetzt bedeutet Tradition, angesichts seiner jugendlichen Historie, im Gegenwartsverständnis, dass etablierte Gestaltungsprinzipien (strukturell, klangqualitativ) eigentlich progressive Novitäten von einst sind. Als Grundpfeiler für alle weiteren Entwicklungsschritte im Jazz entpuppten sich fortan die revolutionären Neuerungen hinsichtlich Harmonik, Tonalität, Rhythmik, der Spannkraft zwischen vertikalen und horizontalen Fortschreitungen die der Bebop (womit das Zeitalter des sogenannten „modernen“ Spielverständnisses eingeleitet wurde)  lostrat und jene der darauf folgenden modalen Schemata, die Artikulationsästhetik und Phrasierung nochmals reformierten. Demzufolge gibt es die Möglichkeiten mit der Traditionshandhabung mehr oder weniger radikal zu brechen, was genaugenommen auch nicht den Tatsachen entspricht, da es sich bei diesem Ansatz vielmehr um ein Ausdehnen, ein Abstrahieren, eine freimütige Auslegung gängiger Formen handelt, die längerfristig in neue Tradierungen münden oder aber sich zur Aufgabe zu machen, wie Archie Shepp es in einem Interview mit dem Publizisten Christian Broecking betonte: „Wir Musiker haben die Aufgabe, die Tradition zu erforschen und sie in einen aktuellen Kontext zu stellen“. Letzterem fühlen sich, eine wahrhaftiger Passion aufbringend, die drei famosen Musiker des Trios FLY verpflichtet. Sie haben ein Konzept ausgetüftelt, welches eine rollenzuteilende Hierarchie im Bandgefüge auflöst um das Kollektivprinzip zu stärken und einen intuitiven Umgang mit Changes, Chorusfolgen oder dem Timekeeping forciert. Mehr oder weniger aus dem Stand funktionierte diese Spielhaltung. Auf der Grundlage nuanciert ausgelegter Mid-Tempo Bewegungen entfaltete das Trio seinen Schaffensprozess. Jener war zunächst noch ein wenig tastend, doch im zweiten Teil des Konzertes hatten sich die Musiker vollends eingeschwungen. Kennzeichnend war die angewandte Innwendigkeit und die ausgesprochen lyrische Auslegung im Zuge ihrer Interaktionen. Das dabei an die Oberfläche drängende ausgewiesene Gespür für Crescendo und Decrescendo, für fließende kontrapunktische Linien sowie polymetrische Verschachtelungen wurde mit eleganter Geschmeidigkeit und Nonchalance feil geboten.

Dahingehend war Mark Turner, aus Sicht seiner Intonation und der thematisch gegliederten Improvisationweise, vielmehr in der Tenortradition eines Sonny Rollins stehend denn in jener eines John Coltrane, mit dem ihm eigenen gerundeten, farbigen Ton, vernetzt mit unverwechselbarer Phrasierung und dem so gebildeten melodischen Ideenüberschwang die prägende Stimme. Zudem ließ er kleine Figuren und Klangfarbenentlehnungen, die an Coleman Hawkins und Lester Young gemahnten, in seinen wallenden Improvisationen durchschimmern. Gleichlautend einfallsreich, introvertiert expressive und in einer flüssigen „Erzählweise“ durchschritt Larry Grenadier, Errungenschaften von Scott LaFaro und Charlie Haden in sich vereinend, das ganze tonale Spektrum. Umhüllend, flirrende Klangwellen ausbreitend, spannungsreich akzentuierend, ließ Jeff Ballard beispielsweise die Cymbals mitschwingen. Großartig wie differenziert er aus diesen filigrane Pattern herauskitzelte und andererseits den Beat, die rhythmische Intensität verdichtend,  aus der periodischen Zeiteinheit fallen ließ. Ebenso deklarierte er sich als Meister im Kreieren spontaner Motive - zusammengefasst in variablen Schlagfolgen, die in unermüdlich wechselnden Tempo- und Rhythmussituationen aufgingen. Wenn sie so dahinsegelten, erzeugten sie gelegentlich das Vexierbild von der Triosituation Wayne Shorter, Ron Carter & Tony Williams zu Zeiten des epochalen Miles Davis Quintetts. Ein wunderbarer „Ausflug“ dem es gegeben war zu demonstrieren, wie das Erbe, emotional im Heute verankert, weitergedacht und auf Flamme gehalten werden kann.