26.5.99

Konzerthaus, Schubert-Saal

20.30 Uhr Contemporary Jazz Duo (Jekaterinburg, Rußland)

22.00 Uhr AMA Jazz
         "In One Breath" (Jekaterinburg, Rußland)

"Es liegt ein Geheimnis um diese Aufnahme, das ich nicht ergründen kann. Es ist dieselbe Art von Geheimnis, mit dem ich das erstemal 1980 konfrontiert wurde, als mir ein deutscher Rußlandtourist eine Kassette schickte, die er aus der ehemaligen Sowjetunion herausgeschmuggelt hatte. Es war eine Aufnahme des Ganelin-Trios, das später für seine Originalität und den polystilistischen Ansatz seines Musikschaffens weltbekannt wurde. Damals aber stellte sich mir die Frage: Wie war es möglich, daß diese originellen Musiker - atemberaubende Techniker, Freigeister und Visionäre gleichermaßen - unter einem totalitären Regime, das Jazzmusik als Manifestation westlicher Werte und Einflüsse nicht nur entmutigte, sondern regelrecht unterdrückte, sich entwickeln konnten? Nach dem Erscheinen ihrer ersten Platten wurde das Ganelin-Trio mit dem Art Ensemble of Chicago und dem Sun Ra Arkestra verglichen - aber niemand im Westen konnte glauben, daß das Ganelin Trio von diesen westlichen Gruppen noch nie etwas gehört, geschweige sie auf der Bühne gesehen oder ihre LPs gekannt hatte. Es war extrem schwierig, LPs solcher Gruppen jenseits des Eisernen Vorhang zu bekommen. Nicht anders erging es mir, als ich zu LPs von Ensembles wie der Jazz Group Archangelsk oder von Homo Liber kam. (...)

Langsam - das Ganelin-Trio war längst aufgelöst und somit Geschichte - klang auch in mir die Neugierde für Free Jazz aus der Sowjetunion ab; mit dem Zusammenbruch des totalitären Sowjetregimes war die musikalische Freiheit auch in diesem Teil der Welt etwas Selbstverständliches geworden. Das Gefühl, mit etwas Exotischem, Geheimnisvollem konfrontiert zu sein, hatte sich endgültig verflüchtigt - bis mir wieder einmal ein Tourist, diesmal ein russischer, eine Kassette aus dem Ural mitbrachte. Beschriftet war sie lediglich mit "AMA-Jazz". Und mit den ersten Tönen kam diese Gefühl, etwas Geheimnisvollem zuzuhören, zurück. Die Musik war kraftvoll, intuitiv strukturiert - und frei. Hätte ich eine solche Kassette aus Europa oder Amerika bekommen, wäre ich nicht weiter erstaunt gewesen. Aber aus im Ural? Dieser gottvergessene Gegend ist dreitausend Meilen von Moskau entfernt und liegt in der Mitte von Nirgendwo. Der Name der Stadt, aus der die Aufnahmen stammten, rief düstere Bilder wach: Jekaterinburg, in der Sowjetzeit in Swerdlowsk umbenannt, war die Stadt, in der 1918 die Familie des letzten russischen Zaren, Nikolaus II., von den Bolschewiki brutal ausgelöscht worden war. Die Region ist berüchtigt für ihr unwirtliches Klima und die schwierigen Lebensbedingungen. Mit mir in Kontakt zu treten, gelang den Musikern damals nur, indem sie mir über einen Mittelsmann besagte Kassette zukommen ließen. Wie sich die Zeiten ändern: Heute kann man den Ural telefonisch und per Fax erreichen. Später erfuhr ich, daß die Musiker von AMA-Jazz - genauso wie einst das Ganelin-Trio - noch nie etwas vom Art Ensemble of Chicago oder von Sun Ra gehört hatten, waren nie aus ihrer Gegend hinausgekommen und hatten nur ein paar mal Free-Jazz-Ensembles live auf einer Bühne erlebt. Das Kürzel AMA im Namen des 1991 gegründeten Ensembles steht für "Association of Musicians of Avantgarde". Während einer unserer Unterhaltungen wollte ich von ihnen wissen, warum sie gerade diese Art von Musik spielen. Sosehr sie die Frage erstaunte, so einfach war die Antwort: 'Diese Musik ist so, wie wir uns fühlen. Sie ist genau das, was wir spielen wollen. Sie ist Ausdruck unserer Spiritualität und kommt ganz von selbst.' Aber auch wenn die Antwort einfach ausfiel, ist damit das Geheimnis der Musik von AMA-Jazz noch nicht ergründet" (Leo Feigin)

Ergänzt und vervollständigt wird das Quartett durch einen Gast aus Hamburg: Heinz-Erich Gödecke spielt Posaune, Didjeridoo, Gongs und tibetanische Hörner. Er tritt als Solist auf, betreibt eigene Ensembles und arbeitet temporär mit namhaften Musikern zusammen. In den letzten Jahren hat er zahlreiche Tourneen durch die Länder der ehemaligen Sowjetunion unternommen, immer organisiert und geleitet von Nikolai Dmitriev. Zur Zeit arbeitet Gödecke intensiv mit Vladimir Tarasov (früher Schlagzeuger im Ganelin-Trio) zusammen. 1996 nahm er am Festival für Filmmusik in Jekaterinburg und am Festival für Neuen Jazz in Archangelsk teil. Im selben Jahr gab er in Ecuador Solokonzerte, leitete einen Workshop für ein Sinfonieorchester in Quito und nahm an einer Performance in Guyaqil teil.

Eintritt: ATS 250.-
PORGY & BESS, GRAF STARHEMBERGGASSE 1A/7, 1040 Wien, Tel.: +43-1-5037009