18.5.99
Szene Wien
20.00 Uhr Huun Huur Tu
"If I`d Been Born An Eagle" (Tuwa)
Kaigal-ool Khovalig: vocals, igil, toshpulur
Anatoli Kuular: vocals, byzaanchi, khomuz
Sayan Bapa: vocals, toshpulur, guitar
Alexej Saryglar: vocals, tungur, dazhaaning khavy
Auf die Frage, was sich im Vergleich zur letzten CD "Orphans Lament" geändert hätte, antworteten die Musiker von Huun Huur Tu: "Die Musik ist einfach besser - wir sind zwei Jahre älter geworden und haben eine Menge neues Material entdeckt. Im vergangenen Herbst haben wir eine Expedition unternommen und alte Sänger in verschiedenen Teilen Tuwas aufgenommen. Von ihnen lernten wir zusätzliche musikalische Feinheiten - besonders was die melodischen Verzierungen betrifft, die durch die Transkriptionen, die uns bis dahin zur Verfügung standen, nicht zum Ausdruck kamen. Diese Transkriptionen wurden in den dreißiger Jahren erstellt."
"Was hat es mit den zeitgenössischen Liedern dieser neuen Platte auf sich?"
"Es sind Lieder, die in den letzten dreißig Jahren komponiert wurden und heute in Tuwa populär sind. Die Leute hören sie im Radio, und die Kinder singen sie auf der Straße. Tuwinische Musik kann man nicht verstehen, wenn man sich nur auf den Kehlkopfgesang konzentriert. Es stimmt zwar, daß das mehrstimmige Singen, wie wir es bei einigen Liedern auf der neuen CD einsetzen, als ein Ausdruck des russischen Einflusses zu verstehen ist, aber in seiner Art ist es mittlerweile auch zu einer tuwinischen Tradition geworden. Gleichzeitig suchen wir nach viel älteren Querverbindungen zwischen tuwinischen und russischen Melodien. Im vergangenen Jahr haben wir Sergei Starostin, einen sehr sensiblen Musiker, kennengelernt. Er ist in vielen Dörfern der alten Sowjetunion gewesen und kennt sich ausgezeichnet mit der Volksmusik aus. In der Zusammenarbeit mit ihm haben wir eine Menge Ähnlichkeiten zwischen der russischen und der tuwinischen Musik gefunden. Da gibt es zum Beispiel die Shoor, eine Holzflöte, die bis vor kurzem noch in Tuwa gespielt wurde. Sie ähnelt der in russischen Dörfern gespielten Holzflöte Kaliuka, die Sergei mit uns spielt. Wir möchten die musikalischen Farben unterschiedlicher Epochen Tuwas zeigen - von den ganz alten Zeiten bis heute. Wenn man tuwinische Musik auf einer Flöte gespielt hört, klingt sie anders und zeigt eine ganz andere Seite. Hört man den Kehlkopfgesangsstil Kargyraa zusammen mit der Shoor, dann spürt man die Verbindung, spürt, wie die hohe Melodie im Kargyraa dem Klang der Shoor ähnelt.
Wir wenden uns nicht von der Tradition ab - es ist eher so, daß wir das benutzen, von dem wir glauben, es hat vor uns - und bevor man es notieren konnte - existiert. Es ist zum Beispiel unmöglich, daß Menschen, die so viel Zeit mit Pferden, einem der rhythmischsten Tiere, verbringen, nicht deren Rhythmus aufgesogen hätten. Pferde haben einen harmonischen Rhythmus. Leute, die reiten, nehmen den Rhythmus des Pferdes physisch auf, und dieser Rhythmus spiegelt sich in der Musik wider. Er ist aber nicht gleichmäßig wie ein Metronom, sondern 'lebt': Der Rhythmus ändert sich, und die Längen der einzelnen Phrasen wechseln. Die Musik ist zwar stetig, aber nicht in gleiche Quadrate unterteilt. Melodien können, abhängig von der Atemtechnik des Sängers, verlängert werden. Man kann die Noten so lange halten, wie die Intuition es einem eingibt. Die Länge einer Phrase basiert eher auf der Intuition eines Sängers als auf dem strikten Einhalten eines rhythmischen Maßes. So wie wir beispielsweise die Toshpulur benutzen, hat sie in den letzten Jahren in Tuwa niemand gespielt. Heute ist sie hauptsächlich ein Begleitinstrument für Kehlkopfgesang, früher jedoch muß sie so gespielt worden sein, wie wir es jetzt tun - also ein Pferd nachahmend. Man hätte sie ebensogut für den Rhythmus benutzen können oder als Soloinstrument oder sogar als Harmonieinstrument. Wir versuchen einen Verständnis dafür zu entdecken, was gewesen sein könnte."
Die in Rußland gelegene Autonome Republik Tuwa schließt mit seiner Südgrenze an die Mongolei an und wurde immer mehrfach von Chinesen, Mongolen, Hunnen, Türken und Russen erobert. Zur Kunst der Hirten gehört seit undenklichen Zeiten die Kunst des Obertongesanges. Diese Technik erlaubt es dem Sänger, gleichzeitig zwei oder sogar drei Töne zu produzieren, indem er die natürliche Resonanz zur Entstehung von Obertönen nützt, um damit Melodien zu formen. Ursprünglich von Solisten vorgetragen, hat sich erst durch den Einfluß der Russen während der Sowjetzeit ein Chorgesang herausgebildet, der heute ebenfalls ein fixer Bestandteil der Musiklandschaft Tuwas ist. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben die verschiedenen Formen des Schamanismus neue Aktualität erhalten - nicht zuletzt als zentraler Impuls für die zeitgenössische Kunstszene. Die Musiker von Huun Huur Tu bemühen sich um beides: um die Bewahrung der traditionellen Kultur und um die Entwicklung neuer Ausdrucksformen; musikalische Grenzen verschwimmen. Huun Huur Tu - 1992 gegründet - sind Nomaden, die von der Folklore zur Avantgarde und zum Rock wandeln. Stilistisch breitgefächerte Kooperationspartnerschaften - unter anderem mit Ry Cooder, Frank Zappa, Johnny "Guitar" Watson oder den Ensembles The Chieftains und dem Kronos Quartet - belegen dies eindrucksvoll.
Eintritt: ATS 220.-/200.-/180.-
PORGY & BESS, GRAF STARHEMBERGGASSE 1A/7, 1040 Wien, Tel.: +43-1-5037009