2.10.99
20.30 Uhr David Linx & Diederik Wissels Duo (Bel)
David Linx: vocals
Diederik Wissels: piano
David Linx ist der “shooting star" der Metropole Brüssel. Das
Allround-Talent schreibt Texte, komponiert, spielt mehrere Instrumente und
gilt als die Stimme des belgischen Jazz. Bereits mit sechs Jahren begann
David Linx mit Gesang. Im Laufe seiner akademischen Ausbildung sang er John
Cage und Alban Berg, begeisterte sich für agyptische Gesangstraditionen,
brasilianische Popmusik, aber auch für amerikanische Künstler wie Betty
Carter. Heute ist er Dozent der Jazz-Klasse am Brüsseler
Konservatorium.
Als Zwanzigjähriger erregte er Aufsehen in der belgischen Fachpresse, als
er für die musikalische Bearbeitung von Texten des amerikanischen Dichters
James Baldwin nicht nur den Autor persönlich, sondern auch Musiker wie
Silde Hampton, Toots Thielemann, Steve Coleman und Viktor Laszlo in einem
Projekt und auf einem Album versammelte (“A Lover´s Question"). Live und im
Studio hat David Linx u.a. mit Jazz-Größen wie dem Count Basie Orchestra,
Deborah Brown, Philippe Catherine, Steve Coleman, Khalil Chanine, Mark
Murphy und Ernie Wilkins gearbeitet. Er schrieb Film- und
Ballettkompositionen, komponierte und arrangierte Hanna Schygulla für den
Film “Hey Stranger" mehrere Songs auf den Leib. Gemeinsam mit Diederik
Wissels, dem in Brüssel lebenden renommierten niederländischen Pianisten
und Komponisten, realisierte er die CD “soul brother", die durch die
Musikredaktion der französischen Tageszeitung Le Monde ausgezeichnet wurde.
Das jüngste Gemeinschaftswerk der beiden - “Bandarkah" nach der
literarischen Vorlage von Tayeb Salih - präsentiert in elf eigenen
Kompositionen ein selbstbewußtes ästhetisches Programm. (Marc Ducret,
Gitarre; Marc Bertaug, Kontrabaß; Tony Rabeson, Schlagzeug; Diederick
Wissels, Piano)
Linx´ Bariton reifte über ein Jahrzehnt hinweg zu einem eigenständigen,
vielseitigen Instrument heran. Akkurat präzise Artikulation und saubere,
klare Intonation auf der einen Seite, die Fähigkeit zur rhythmischen
Loslösung von den Zwängen des Metrums auf der anderen verbinden sich mit
klassikähnlichen Koloraturen, der Vorliebe für große Intervallsprünge und
einem ausgeprägten, gehaucht samtenen Timbre zu einer vokalen
Gesamterscheinung mit hohem Wiedererkennungswert.
22.00 Uhr Michel Portal Quintet (F/I)
Michel Portal: reeds, bandoneon
Flavio Boltro: trumpet
Andy Emler: piano
Francois Moutin: bass
Laurent Robin: drums
in cooperation with label bleue & jazzcalation
Lange genug waren die beiden Lager miteinander verfeindet. Doch inzwischen
gibt es im europäischen Jazz eine ganze Reihe von Musikern, die sich als
Bindeglied und Mittler zwischen dem Jazz und der zeitgenössischen E-Musik
sehen. Sie alle haben einen Vorläufer: Michel Portal. Für ihn persönlich
schien es die alten Grabenkämpfe um E- und U-Musik nie gegeben zu haben.
Mit bewundernswerter Selbstverständlichkeit spielte es Kompositionen von
Luciano Berio, Mauricio Kagel oder Karlheinz Stockhausen, war im Ensemble
der Sängerin Edith Piaf und arbeitete er an einer europäischen Form des
Free-Jazz. ein beherzter Undogmatiker, also. Michel Portal wurde 1935 in
Bayonne, Frankreich geboren. Er durchlief die klassische Ausbildung eines
Konzertmusikers am Pariser Konservatorium, wirkte in Sinfonie-Orchestern
und wurde 1967 Mitglied des Ensembles Musique Vivante, das sich der
Aufführung zeitgenössischer Musik verschrieb. In dieser Zeit und in dieser
Musik liegen auch die Berührungspunkte zwischen Zeitgenössischer Musik (mit
großem Z) und zeitgenössischer improvisierter Musik - mit kleinem z. Denn
schon ein Jahr später, also 1968, mitten in den turbulenten Studentenunruhen, nahm Portal eine Platte mit dem Free-Jazz-Schlagzeuger Sunny Murray
auf. Der Widerspruch, in beiden Gefilden zuhause zu sein, löst sich aber
auf, sobald man sich etwas genauer anschaut, welche Rolle Portal denn in
der Zeitgenössischen Musik gespielt hat. In den Kontexten, auf die er sich
einließ, war mehr als nur ein Interpret gefordert, mehr als nur einer, der
Töne reproduziert. Man holte ihn immer dann, wenn es darum ging, in einem
festen Rahmen auch Eigenes zu schaffen, die Vorgaben individuell
weiterzuführen - wie etwa bei der Aufnahme zu Karlheinz Stockhausens Stück
“Intensität" aus dem Jahr 1969.
In den sechziger Jahren war Frankreich eine beliebte Anlaufstelle für
Musiker aus Amerika, die in ihrem eigenen Land vorübergehend keine Chance
für ihre neue Art der freien Musik sahen: so zum Beispiel das Art Ensemble
of Chicago, das einige Zeit in Frankreich lebte und dort auch seine
wichtigsten Platten aufnahm. Musiker wie Michel Portal, der ein kreatives
Doppelleben führte, fungierten dabei als entscheidende Katalysatoren und
Integrationsfiguren für eine Bewegung, die sich vom Vorbild des
amerikanischen Free-Jazz freispielen und eine eigene Form der freien
Improvisation entwickeln wollte. Dabei gehörte Portal zu den ersten, die
sich allen Genres und allen gängigen und unorthodoxen Idiomen gegenüber
offen zeigten. Ganz gleich, ob es sich um Jazz, Chanson, Folklore,
klassische und Zeitgenössische Musik handelte: Sie alle Impulsgeber für das
Konzept einer grenzenlosen Musik. Eines der besonderen Merkmale der
französischen Free Music bestand darin, daß die Musiker bei aller
freigesetzter Energie, aller Formzertrümmerung stets wesentlich melodischer
spielten als die Kollegen aus Deutschland oder Großbritannien. Allen
Experimenten zum Trotz ist Michel Portal bis heute ein rückhaltloser
Melodiker geblieben. Das mag auch der Grund gewesen sein, daß er immer
wieder Aufträge erhielt, Musik für Filme zu schreiben. Denn diese Form
verlangt nach absoluter Verdichtung, nach Miniaturen, die sowohl
atmosphärisch als auch melodisch sind. Portal sagte einmal von sich, sein
musikalisches Denken sei immer von Bildern geprägt. Um dieses Denken auch
umzusetzen, bedarf es einer gehörigen Portion Kontrolle. So ließ sich denn
Portal auch nie in seiner Phase der freien Improvisation vom Gefühl allein
fortreiben. Bei ihm schwang stets ein Gutteil intellektuellen Formgefühls
mit, was zweifellos aus seiner Auseinandersetzung mit den komplexen Formen
der zeitgenössischen Musik herrührt. Seine Musik war zugleich immer auch
Reflexion über die Musik und ihre unendlichen Möglichkeiten. Es stehen ihm
alle Formen offen - und er ist zu klug und sein Anliegen zu ernsthaft, um
sie in bloßer Schnittmanier und Zitierwut aneinanderzureihen. In diesem
Sinn ist Portal tatsächlich so etwas wie ein universeller Musiker, der sich
in jedem stilistischen Kontext frei bewegen kann. Dabei nimmt er keine
Rücksicht auf modische Strömungen oder ein aktuelles Stildiktat. Vielmehr
verfolgt er seine Musik konsequent weiter, egal ob sie nun gerade in den
aktuellen Rahmen paßt oder nicht. Dazu hat er schließlich auch schon viel
zu viel vorweggenommen.
Eintritt: ATS 220.-/240.-
PORGY & BESS, GRAF STARHEMBERGGASSE 1A/7, 1040 Wien, Tel.:
+43-1-5037009