17.4.99
20.30 Nouvelle Cuisine Ultimate Sentences
Gerald Preinfalk, Robert Friedl, Heinrich von Kalnein, Christian Maurer, Manfred Balasch, Herwig Gradischnig: reeds
Bernhard Nolf, Gerhard Zwickl, Walter Fend, Peter Huber, Thomas Gansch: trumpet, fluegelhorn
Dominik Stöger, Robert Bachner, Otmar Gaiswinkler, Charlie Wagner: trombone
Cyriak Jäger: tuba
Christoph Cech: piano
Conrad Schrenk: guitar
Tibor Kövesdi: bass
Christian Salfellner: drums
Christian Mühlbacher: percussion
Franz Hautzinger: conductor
Plädoyer für eine Bigband im stilistischen Niemandsland
Grobrastrig gibt es zwei Arten von Großensembles im Jazz: Zunächst der traditionelle Typus, vertreten durch die meistens an ländliche Blaskapellen gekoppelte Hobbybigband - schwungvoller Abend im Gemeindesaal -, weiters die Studentenbigband - da müssen alle durch - und die Radiobigband mit dem sattsam bekannten, ein wenig leeren Klang. Die Qualitäten: Es geht um diszipliniertes Zusammenspiel, kultivierten Bläserklang, Phrasierung, Blend, also um musikalische Prämissen, deren Beherrschung die Kenner schätzen und nur Unbedarfte mit dem Vorwurf der "Altbackenheit" vom Tisch wischen. Zweitens der, sagen wir mal, "moderne" Typus, der sich - zumindest bis vor kurzem - in zwei Spielarten erschöpft. Zunächst das Kollektiv: Hier wird das Proben durch Politik ersetzt, Aktionismus, Entertainment, Zirkus, Chaos, aber auf jeden Fall spontan. Diese von der Kritik um 30 Jahre zu spät geliebte Musizierform war einst eine passende Antwort, verliert sich aber heute in verspielter Gestik. Weiters bemerkenswert im Tourneezirkus: das Solistenaufgebot; man nehme einen Haufen bekannter Musiker und mache sich weiter keine Gedanken, daß das noch nicht ein zwingendes musikalisches Konzept ist, ein vermarktungsfreundliches scheint es ja zu sein, vielleicht weil man so gleich einige klingende Namen als gehört abhaken kann.
Diese Aufzählung der normierten Jazzorchester wird hier deshalb überspitzt formuliert, um auf den kreativitätstötenden Mechanismus hinzuweisen, daß anscheinend alle - gleich, ob Musiker, Veranstalter, Rezensenten; das Publikum sei hier ausgenommen, denn nur dieses folgt instinktiv dem Pfad der Spannung - mit diesen Klassifizierungen ihr Auslangen finden, sodaß zu befürchten ist, daß, wenn sich die museale Phase ihrem Ende im Leerlauf nähert, der orchestrale Aspekt des Jazz mangels Input ausstirbt. Die Lösung wäre, dem Pfad einer scheinbaren eklektischen Verwirrtheit zu folgen, in Wirklichkeit dem Eigenen als Summe der geliebten und beherrschten musikalischen Parameter eine Gestalt zu geben, etwas Wirkliches, Persönliches herzugeben, sich hinzugeben, das Niemandsland zu besiedeln.
"Nouvelle Cuisine" entstand Anfang der achtziger Jahre in den Kellern des Konservatoriums der Stadt Wien, als Christian Mühlbacher am Schlagzeug und Christoph Cech am Klavier, statt zu üben, lieber ihren Träumen von einer großen Band nachhingen und sich eine starke musikalische Bindung formulierte, welche bis heute das Rückgrat der Band ist. Die Bigband wurde nicht als Bigband gegründet, sondern stockte sich von befreundetem Bläser zu befreundetem Bläser über Jahre zu der Größe auf, in der sie sich heute präsentiert. Die Bedeutung des französischen Titels: ein Bekenntnis zum Kochen, Steckenpferd beider Gründerväter, und zu Europa als musikalischem Nährboden. Stilprägende musikalische Vorbilder - Achtung! Intim: Mahlers Symphonien, Cobhams verkürzte Takte, Gateway 2, Bartoks Klavierkonzert Nr. 3, Zappas Black Page, Globe Unity, Ellington, Basie, Don Ellis, Le Sacre du Printemps, Weather Report, Coleman ... Ornette, Morricone, Beethovens Klaviersonaten, Lutoslawski, Matt Bianco, Gabrieli, Gabriel ... Höchst unvollständig, aber es reicht, um sich etwas vorstellen zu können, oder? In musikalischen Termini: Am rhythmischen Sektor gibt es eine Vorliebe für kraftvolle, rock-betonte Patterns, oft Spiele mit polyrhythmischen Überlagerungen und ungewöhnlichen Taktarten; den tonalen Aspekt kann man am ehesten als erweiterte Modalität, ebenfalls bis zum Polymodalen, mit Ausflügen in die freie Tonalität bezeichnen; verschränkte Kontrapunktik erzeugt Dichte; in der großen Form gibt es einen starken epischen Bezug, welcher wahrscheinlich die Bestimmtheit suggeriert, die die Auftritte der Band prägt, im Detail einen Hang zu collagenhaft harten Brüchen, schwebende Stimmungen zersplittern plötzlich, Fortissimokaskaden münden in balladeske Intimität ...
Whatever! ... Ein lebendiger Dinosaurier, immer auf dem Weg, auch ohne Boden unter den Füßen. Mit dem aktuellen Programm Ultimate Sentences legt Österreichs experimentierfreudige Bigband Nouvelle Cuisine erneut ihren Standpunkt im aktuellen Musikschaffen fest: gerade in Zeiten zunehmender musealer Rückschau nicht vom Kurs der Suche nach immer neuen Möglichkeiten abzuweichen und - last but not least - einige der besten Instrumentalisten in Großformation zu präsentieren.
(Christoph Cech)
Eintritt: ATS 200.-/220.-
PORGY & BESS, GRAF STARHEMBERGGASSE 1A/7, 1040 Wien, Tel.: +43-1-5037009