July 17, 2018
By Christoph Huber

Tätigkeitsbericht 2020 / Zwischenbericht 2021

Sorry this part has no English translation

Tätigkeitsbericht 2020

Das Porgy & Bess ist einer der besten Live-Clubs in Europa und ich freue mich immer, wenn ich dort auftreten kann. (Lee Konitz)

Allgemein: Das Porgy & Bess versteht sich als Jazz & Musicclub mit pluralistischem Programmangebot. Das Porgy & Bess fungiert als Ort der musikalischen Begegnung, Auseinandersetzung und Konfrontation für Musikerinnen und Musiker sowie Publikum. Hauptaugenmerk liegt auf der Realisierung einer Struktur, welche die vielfältigen Artikulationsmöglichkeiten der heimischen (Jazz-)Szene bzw. neue Entwicklungsperspektiven berücksichtigt (z. B. die Arbeit mit internationalen Gastmusikerinnen und -musikern). Des Weiteren ermöglicht ein Club, der als „meeting point“ der heimischen kreativen Szene fungiert, Erfahrungsaustausch über stilistische und ästhetische Grenzen hinweg, ist Experimentierfeld für unterschiedlichste Projekte, die nicht dem Diktat eines „ultimativen Statements“ unterliegen müssen, ein Podium für kontinuierliche Weiterarbeit und -entwicklung. Eine Hauptintention des Porgy & Bess ist die Kooperation heimischer Musikerinnen und Musiker unterschiedlichster künstlerischer Herkunft, was der Tendenz einer musikalischen Ghettoisierung entgegenwirkt.

Die europäische Jazzszene hat sich in den letzten Jahrzehnten endgültig als eigenständige und innovatorische Kraft im Jazz etabliert. Nachdem sich das P&B als europäischer Jazzclub definiert, ist es selbstverständlich, kreatives europäisches Musikschaffen zu präsentieren. Kooperationen mit europäischen Partnern sowohl in der Club- (Moods/Zürich, Stadtgarten/Köln, Unterfahrt/München, AMR/Genf, Bimhuis/Amsterdam ...) als auch in der internationalen Festivalszene (Le Mans, Moers, Berlin, Sarajevo, Ljubljana ...) beleuchten verstärkt differenzierte Bereiche außerösterreichischer Improvisationsauffassungen. Intensive Kontakte vor allem mit Veranstaltenden und Musikschaffenden des ehemaligen Ostblocks (Slowakei, Tschechien, Ungarn, Polen, Bulgarien, Rumänien, Litauen, Russland, Estland, Serbien-Montenegro, Kroatien, Albanien ...) führen zu einem internationalen Kulturaustausch (siehe Festivalserie „Step across the border“).

Jazz wird historisch als afro-amerikanische Musik definiert, und immer noch kommen innovatorische Impulse aus dem „Mutterland des Jazz“: zwei gute Gründe, warum einerseits die großen amerikanischen Solistinnen und Solisten dieser Musik, andererseits auch die nachstrebenden Generationen programmatische Berücksichtigung finden.

 

Am Dienstag, dem 10. März 2020 kam gegen Mittag die Meldung, dass nur mehr 100 Personen bei „Indoor“-Veranstaltungen erlaubt seien. Diese Verordnung war ab dem 12. März rechtsgültig, d.h. beim ausverkauften Konzert von Jools Holland war das Edikt anzuwenden. Wir schrieben also all jene Menschen an, die für diesen Abend Tickets gekauft hatten und teilten diese in zwei Gruppen zu je einhundert Personen. Jools Holland erklärte sich aufgrund der aktuellen Situation bereit, zwei Konzerte zu spielen – eines um halb neun und das zweite um zehn Uhr für je einhundert Besucher*innen. Ganz reibungsfrei verlief diese kurzfristige Aktion nicht, aber die Konzerte fanden statt und das anwesende Auditorium war begeistert. Die Maximalzahl wurde zwar deutlich unterschritten, aber es gab trotzdem so etwas wie „normale“ Clubatmosphäre – für längere Zeit die letzte, wie sich herausstellen sollte. Am nächsten Abend stand das Jazzorchester Steiermark auf dem Programm, welches wir aufgrund der geänderten Situation auf Quintettformat reduzierten. Doch die Musiker*innen sagten das Konzert ab, weil sie in den sogenannten sozialen Medien attackiert wurden. Um Musiker*innen vor diesen obskuren Vorwürfen zu schützen, zogen wir die imaginäre Reißleine und sagten alle Konzerte bis auf Weiteres ab. Am 15. März wurden wir schlussendlich offiziell behördlich geschlossen. Wir nahmen daraufhin mit all jenen Kontakt auf, die bei uns Konzertkarten gekauft hatten und boten an, dass wir ihnen die Tickets für abgesagte Konzerte zu refundieren, baten sie aber, wenn sie den gemeinnützigen Verein unterstützen wollten, Gutscheine zu akzeptieren, was dankenswerterweise die Majorität der Leute auch tatsächlich tat. Etliche spendeten gar ihre Karten. Wir haben also in den ersten zwei bis drei Wochen, ohne darauf zu warten, was der Gesetzgeber nun in Bezug auf Rückzahlung tatsächlich beschließt, den Großteil aller „Fälle“ abgearbeitet – und das trotz Kurzarbeit!

In diesen ersten Wochen wurde dann klar, dass so schnell wohl nicht mit Live-Betrieb zu rechnen sei, und wir überlegten, was wir sinnvollerweise tun könnten, um zumindest eine Jazz-kulturelle Grundversorgung zu gewährleisten. Aus dem Audio-Archiv zu streamen erschien uns nicht wahnsinnig originell, und nachdem publik wurde, dass Musiker prinzipiell ihrer beruflichen Tätigkeit nachkommen dürfen, solange kein Publikum zugegen sei und solange auf der Bühne ein Abstand von einem Meter eingehalten werden kann, entschlossen wir uns, „live-live“ zu streamen – also Musiker, die im Moment auf der Bühne stehen und spielen. Ist das Konzert vorbei, endet auch der Stream – unwiderruflich! In Zusammenarbeit mit dem Medienlabor der Akademie der Bildenden Künste wurde ein Live-Streaming-Konzept aus dem Boden gestampft, welches wir innerhalb von wenigen Tagen in die Realität umsetzten. „The show must go on(line)“ heißt die Serie, die ab dem 4. April zweimal wöchentlich heimische Bands präsentiert und via Stream „in die Welt“ transportiert. Diese Reihe war bis Ende August konzipiert, weil die Politik ursprünglich vermeldete, dass bis dahin an keine Veranstaltungen zu denken sei. Gestartet wurde mit dem famosen Duo 4675 der Geschwister Wiesinger.

Bei der Pressekonferenz der Regierung am 15. Mai wurde verkündet, dass man ab dem 29. des Monats Veranstaltungen bis zu 100 Personen abhalten dürfe, vorausgesetzt es kann ein Abstand von mindestens einem Meter zwischen den einzelnen Personen gewährleistet werden. Wir nutzten diese Möglichkeit und öffneten zu allen „The show must go on(line)“-Konzerten (eingeschränkt) die Club-Pforten für das Publikum. Live streaming with live audience! Das erste Konzert war (zufällig!) jenes von Wolfgang Muthspiel, der ein rares und vielbeachtetes Solo-Konzert gab, das auch international rezensiert wurde und womit es das P&B sogar in die ZIB 1 schaffte. Die Atmosphäre im Club war fantastisch, das anwesende Auditorium euphorisch und Muthspiel in Höchstform! Eine „bessere“ Wiedereröffnung ist wohl schwer vorstellbar. „Offiziell“ abgeschlossen wurde diese Serie Ende August mit einem dreitägigen Festival mit dem Titel „A.E.I.O.U. – Austria erit in orbe ultima“ mit insgesamt 9 Formationen austriakischer Kingsize-Talents wie Georg Vogel, Elias Stemeseder, Judith Ferstl, Ralph Mothwurf, Beate Wiesinger, David Six, Michael Naphegyi, Primus Frosch, Simon Raab, Vicky Pfeil...

Es gab zwischen Anfang April und Ende August insgesamt 51 Abende unter dem Label „The show must go on(line)“, 16 davon ohne Publikum, also „nur“ im Stream und 34 mit Publikum, was rund 2000 Besucher nutzten.

Ab dem 1. September gingen wir wieder zu einem täglichen Betrieb über und haben alle Abende bespielt – teilweise auch mit internationalen Formationen wie z. B. dem „Orchestre National de Jazz“ aus Paris. Es wurde keine einzige Covid-Übertragung bekannt, was wohl auch daran liegt, dass wir uns strikt an alle Vorgaben halten und auch das Publikum ein hohes Maß an Sozialkompetenz aufweist und z. B. die Maske dort trägt, wo sie verlangt wird. Ende September öffnete die Akademie der Bildenden Künste wieder ihre Pforten, was bedeutete, dass wir das Kamera-Streaming-Equipment zurückgeben mussten. Aber es war von Anfang an klar, dass, wenn wir diese gesamten Vorkehrungen treffen (Einbindung in unserer Homepage, notwendige Server, diverse Programmierprozesse...), wir auch weiterhin parallel zu den Live-Konzerten alternativ den Stream anbieten wollen. Das bedurfte einer finanziellen Investition, die gerade in derartigen Zeiten eher mühsam ist, aber wir haben uns dafür entschieden und zwar auch deswegen, weil wir der Überzeugung sind, dass wir dadurch auch ganz neue Publikumsinteressen wecken können bzw. Menschen erreichen, die, aus welchen Gründen auch immer, sowieso nicht in den Club kommen können. Wir streamten vorläufig in einer Kompromissversion mit einer Zentral-Kamera, aber Ende Januar wurden die bestellten Remote-Control-Kameras geliefert.

Ab dem 3. November erfolgte Lockdown Nr. 2, der dann bis zum 19. Mai 2021 dauern sollte. Da begannen für uns die Schwierigkeiten quasi nochmals, weil auf den Herbst verschobene Konzerte neuerlich verschoben werden bzw. Musiker*innen ganze Tourneen absagen mussten und wir erneut den Aufwand von Um- und Rückbuchungen von bereits gekauften Tickets hatten. Außerdem musste das Programm immer wieder umgestellt bzw. neu konzipiert werden, was ebenfalls einen hohen zeitlichen Aufwand bedeutete.

Es gibt nicht viel Positives, was wir dieser Krise abgewinnen können, aber wenn es etwas gibt, dann die unglaubliche Solidarität unserer Community, sprich Musiker, Besucher, Journalisten etc. Durch die Krise wurde den Leuten bewusst, was es bedeutet, wenn etwas Gewohntes bzw. Liebgewonnenes plötzlich nicht mehr zur Verfügung steht. Für mich persönlich ist es natürlich auch von großer Bedeutung, dass man für ein Programm verantwortlich ist, das die Leute zu schätzen wissen. Der Stream war/ist ein Angebot, das Interessierte annehmen können und auffällig viele haben dieses Angebot tatsächlich genutzt. Außerdem sorgte es auch international Aufsehen, wie schnell wir auf die widrigen Umstände reagiert haben, was unserer Reputation nicht abträglich war. Und die Musiker*innen haben erkannt, dass das P&B auch in schwierigen Zeiten ein verlässlicher Partner ist. Abschließend wage ich die Behauptung, dass das P&B gestärkt aus dieser Krise kommen wird – natürlich auch aufgrund der Unterstützung der öffentlichen Hand, wofür wir sehr dankbar sind.

Zu den Facts: Der Hauptraum des P&B wurde 2020 an 168 Tagen mit öffentlich zugänglichen Produktionen bespielt, die von knapp 23.500 Personen besucht wurden. Es gab insgesamt 208 Streams, davon 75 ohne Publikum. Die Anzahl der „virtuellen“ Besucher*innen im Netz betrug bis zum 31. Dezember 2020 cirka 60.000. Zusätzlich gab es 9 Matineen (Wild but heart...). Dazu kamen 36 Konzerte in der Strengen Kammer mit knapp über 830 Besucher und 3 Vernissagen in der Public Domain.

 

Zwischenbericht 2021

Das P&B hat seit dem Beginn der Saison 2020/21 am 1. September 2020 kein einziges Konzert im Hauptraum abgesagt und selbst ab dem Lockdown ab 3. November 2020 den virtuellen Club via Live-Stream täglich „offen“ gehalten – mittels unseres Jazzzustellservice „The show must go on(line)“. Allen auftretenden Musiker:innen wurden die ursprünglich vereinbarten Gagen ausbezahlt und wenn eine international Band nicht einreisen konnte, dann haben wir einen passenden Stream aus dem Archiv gezeigt. Diese Streams erreichten (zur Schließzeit) täglich im Schnitt um die 300 „unique visitors“, das sind IP-Adressen, d.h. wir wissen nicht, wieviele Leute vor dem Bildschirm saßen, aber wir wissen, dass es nicht weniger sein können. Der Rekord liegt übrigens bei knapp über 1.300 „unique visitors“. Insgesamt nutzten unser Streaming-Angebot vom 1. Januar bis Ende November dieses Jahres 60.347 „unique visitors“.

Ganz allgemein können wir sagen, dass das P&B bis jetzt halbwegs gut durch diese Krise gekommen ist – und zwar auch deshalb, weil wir von Anfang an auf Aktivität gesetzt haben und versuchten, innerhalb festgesetzter Rahmenbedingungen das Bestmögliche zu machen. Dadurch evozierten wir globale Solidarität, die sich in Spenden manifestierte bzw. darin, dass viele Menschen den Pay-as-you-wish-Button bei den Online-Konzerten nutzten. Auf eine besondere Form der Solidarität seitens der Jazzszene möchte ich hinweisen und zwar auf das Konzert der us-amerikanischen Basslegende Stafford James, dem Ende April 2012 die gesamte Tournee mit einigen größeren Festivals abgesagt wurde und der für das einzig verbliebene Konzert im P&B aus Chicago mit seinem Kontrabass (!) anreiste, um am 30. April, dem UNESCO International Jazz Day, im leeren Club zu spielen. Das vereinbarte Honorar überreichte er seinen österreichischen und ungarischen Mitmusiker, der Bandleader zahlte seine Reise selbst. Das ist ein Statement!

Außerdem – und das sei natürlich auch hervorgehoben – gab es Lockdown- bzw. Ausfall-Entschädigungszahlungen der öffentlichen Hand, die uns dieses „Überstehen“ erst ermöglichten bzw. hoffentlich uns auch eine Zukunft garantieren.

Vom 1. Januar bis zum 30. November 2021 gab es insgesamt 395 Veranstaltungen in allen Räumen des P&B: 153 Konzerte auf der Mainstage, 13 Matineen bzw. Mitternachtsveranstaltungen, 29 Kindertheater-Aufführungen, 44 Konzerte in der Strengen Kammer, und 3 Ausstellungseröffnungen in der Public Domain). Es gab 153 reine Live-Streams, d.h. Konzerte im Lockdown. Insgesamt fanden 242 Veranstaltungen mit Publikum statt, zu denen 20.552 Besucher:innen kamen. Interessant ist, dass die Anzahl der „Haupt“-Konzerte mit Publikum exakt dieselbe ist, wie jene, die ausschließlich im Stream stattfanden.

Für 2022 erwarten wir uns eine deutliche „Normalisierung“, d.h. wir gehen davon aus, dass der Veranstaltungsbetrieb wie dem beigefügten Aktivitätskonzept 2022 zu entnehmend ist, weitgehend unbeeinträchtigt von statten gehen wird.