30. Juli 2019
Von Hannes Schweiger

FR 26. Juli 2019
Anatomie einer Familienaufstellung
reformARTorchestra
Franz Koglmann, Rudolf Ruschel, Raul Herget (brass), Gerhard Fritsch, Sandro Miori, Karl Vösner (reeds), Yuko Gulda, Yedda Lin (p), Paul Fields, Monika Stadler, Karl W. Krbavac (strings), Sainko Namchilak, Echnaton Schano (voice), Johannes Groysbeck, Thomas Stempkowski, Reinhard Ziegerhofer (basses), Niki Dolp, Wolfgang Reisinger (dr)

An Rand der Bühne in deren Mitte prangte das Sopransaxophon von Fritz Novotny. Das sollte auf irdische Weise, so Novotnys alter ego Paul Fields in seinen Eröffnungsworten, der nach dem Tod des Freundes nun versucht dessen musikalische Hinterlassenschaft, die Reform Art Unit, weiterzuführen, die Anwesenheit von Novotnys „Astralkörper“ versinnbildlichen. Er räumte sogar das Bewegen der Saxophonklappen von unsichtbarer Hand im Konjunktiv ein. Ziemlich viel Pathetik auf einmal. Paul Fields zeitigt einen Hang dahingehend. Jedenfalls gruppierte sich ein Haufen MusikerInnen, mit denen Novotny in den letzten Jahren musikalisch am engsten verbunden war, um das ihn kennzeichnende Instrument. Mit lenkenden Worten, immer wieder auch auf Novotnys musikalische Visionen freier, weltklanglicher Improvisation verweisend, versuchte Geiger und MC Fields rudimentäre Konzeptionen für den Klangwerdungsprozess anzuregen.

Mit durchwachsenem Ergebnis. Ehrlicherweise muss man sagen, dass diese verbalen Instruktionen („Ich darf jetzt die Bläser bitten, die Streicher usw. und wenn jemand meint weiteres einbringen zu können…“) den Charme eines Seniorentreffs versprühten und gelegentlich die Spannung aus dem Verlaufsbogen nahmen. Obendrein noch bedeutungsschwangere Poesie Platz griff. Head Arrangement Absprachen im Vorfeld hätten ausgereicht, da alle ProtagonistInnen mit Novotny Universum vertraut sind, ausreichend improvisatorisches Vermögen besitzen, und diese Spezifika sowieso herausgearbeitet hätten. Eben jene feinziselierten Klanggespinste, tüllhaften als auch engmaschigen Klangflächen, frenetischen Kollektivcluster – die meist den Endpunkt jeglicher Stimmungslage/Materialentwicklung markierten, diversen Kleingruppierungen. Pendelnd zwischen tonalen und atonalen Aggregatzuständen mit dem bevorzugten Gestaltungsmittel crescendo – decrescendo. Die gleichfalls angekündigte meditative Versenkung, die für Novotny von größter Bedeutung war, was er mit seinem klanginsistierenden Spiel eloquent vermitteln konnte, rief unter den AkteurInnen nicht nach Verlangen. Dies könnte man schon dem Fehlen des „Oberreformisten“ zuschreiben. Vielmehr zollten die Musikerinnen ihm mit Extravertiertheit Tribut. Vorwiegend, entsprechend der RAU-Philosophie als undoktrinäre Ensembleimprovisationen, in der gelegentlich unterschiedliche Leadstimmen hervortraten, die mehr oder weniger Beachtung fanden. Beispielsweise lyrische Interventionen der Brass-Section oder energetisches Klangspiel der Saxophonisten. Lediglich „der eine oder eine“ hat es solistisch an der E-Gitarre, mit der er nur Feedback-Sounds generierte, und zusätzlichen gestischen „Spompanadeln“ übertrieben. Unentwegt Impulse lancierte hingegen die Rhythmus Unit. Die beiden Schlagzeuger und die beiden Kontrabassisten. Eine Palette von metrisch offenen Pulsationen, periodischen Zeitgliederungen, prägnanten Ostinaten, reinem Klangexploring, melodischem Streugut – subtil swingend. Wandelbare rhythmische Permutationen die den Ablauf bündelten, der ansonsten fallweise in ein Wirr Warr abgedriftet wäre. Und die weibliche Stimme überraschte mit kleinen Soundexplosionen und jazzaffinen Kantilenen. Alles in allem ein würdiger Nachruf  auf einen kompromisslosen Solitär frei improvisierter Klangexegese. Schlusszeichen hinter einer initiatorischen Reformidee. „RAUs“.