Mo 29. Januar 2018
20:30

Ed Neumeister New Quartet (USA/TK/BRA)

Ed Neumeister: trombone
Anil Bilgen: piano
Gustavo Bono: bass
Luís Oliveira: drums

After relocating back to New York after retiring from the University in Graz, Ed Neumeister returns to Vienna to team up with some of his former student “Young Lyons” to perform originals by Neumeister and reworkings of Jazz Standards. (Ed Neumeister)

Schon interessant: Da beherbergt Hernals seit 1999 einen der vielseitigsten Posaunisten des Gegenwartsjazz - und die Stadt bemerkt es kaum. Dass Ed Neumeister selbst nach elf Jahren noch nicht so recht in Wiens Jazzszene angekommen ist, das hat indessen auch mit ihm selbst zu tun. Denn der 58-jährige Kalifornier, dessen familiäre Wurzeln väterlicherseits in Ostdeutschland liegen, ist ein gefragter Mann: Unterrichtet er doch an der Jazzabteilung der Grazer Kunst-Uni wie auch am Konservatorium Luzern, und er jettet immer wieder über den Atlantik, um in New York aufzutreten und in Los Angeles an Film-Soundtracks zu arbeiten. "Ich habe immer verschiedenste Arten von Musik gemacht, das hat teilweise zu Formen musikalischer Schizophrenie geführt. Ich hatte zu viele musikalische Persönlichkeiten", so Neumeister über die Ursachen seiner Rastlosigkeit. "Aber ich wollte und will keine davon missen." Vielseitigkeit ist wohl das hervorstechendste Merkmal des Posaunisten, Arrangeurs und Komponisten, der Anfang der 1970er-Jahre an der University of California Komposition bei Lou Harrison studierte. Und der andererseits einige Jahre später als erster Posaunist des Sacramento Symphony Orchestra fungierte und beinahe zeitgleich Teil von Jerry Garcías und Merl Saunders' Reconstruction-Band war, mit dem diese 1979 eine Auszeit vom Lebensprojekt Greatful Dead überbrückten. Neumeister: "Auf diese Konzerte werde ich heute noch angesprochen. Wir spielten frei, Free-Rock, Free-Jazz, wie immer man diese Musik nennen mochte. Als ich nach dem ersten Konzert das Honorar ausbezahlt bekam, wollte ich dieses gleich wieder zurückgeben. Denn ich war Jazz-Gagen gewohnt und dachte, ich hätte irrtümlich das Geld für die gesamte Band erhalten." Das mit Reconstruction verdiente Geld ermöglichte Neumeister Anfang der 1980er-Jahre den Sprung nach New York, wo eine neue Karriere-Etappe auf ihn wartete: Sieben Jahre nach dem Tod des Maestro wurde er Mitglied des mittlerweile von Sohn Mercer Ellington weitergeführten Duke Ellington Orchestra: "Ich empfand das Orchester nie als 'Ghost-Band'. Es waren noch so viele Musiker aus Dukes Lebzeiten dabei, etwa Paul Gonsalves und Britt Woodman. Für mich war es eine Universität." Zudem bedeutete es die posthume Erfüllung einer Engagement-Zusage des Duke: "Im Jahr 1974, ich lebte damals in Amsterdam, war ich schon gebucht, um ein Konzert mit Ellingtons Orchester zu spielen. Sechs oder acht Wochen vorher sah ich Ellingtons Foto auf dem Titelbild einer Zeitung - und las, dass er gestorben war." Das Thema Bigband sollte für Neumeister in den 1980er-Jahren ein zentrales werden, musizierte, arrangierte und komponierte er doch auch in den Großformationen von Lionel Hampton, Buddy Rich, dem Vanguard Jazz Orchestra, und ab 1992 immer öfter in Europa. Bis ihn 1999 der Ruf der Kunstuniversität Graz erreichte. Komplizierte Partituren Elf Jahre später wird sich Ed Neumeister in seiner Wahlheimat im Rahmen des dreitägigen Porgy & Bess-Portraits nun endlich als Arrangeur, Solist und Komponist vorstellen: Ersterer lässt sich heute, Donnerstag, in Sextett-Entourage mit Duke-Ellington-Neudeutungen hören, zweiterer improvisiert morgen, Freitag, mit Brad-Mehldau-Schlagzeuger Jeff Ballard, Bassist Peter Herbert und Sample-Spezialist Ingo Rieber. Der Komponist Ed Neumeister, der "den Ruf hat, immer sehr komplizierte Partituren zu schreiben, obwohl ich selbst sie nicht so empfinde", ist samstags mit dem Budapest Jazz Orchestra zu erleben. Um ein kurzes Resümee seiner transkontinentalen Szene-Erfahrungen gebeten, äußert Neumeister: "In Europa werden die Künste viel stärker unterstützt, was primär ein positiver Aspekt ist. Ich habe aber auch beobachtet, dass sich Musiker weniger weiter entwickeln, wenn sie nicht einem gewissen Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind." Lächelnder Nachsatz: "Mein Utopia, den idealen Ort für meine Musik, habe ich noch nicht gefunden." (Andreas Felber/ DER STANDARD, Printausgabe, 9.12.2010)