Mo 9. Oktober 2017
20:30

Alfred Zellinger / Franz Koglmann / Peter Herbert / Richard Filz 'Doktor Faustus Oligarch' (A)

Alfred Zellinger: text, voice
Franz Koglmann: trumpet, fluegelhorn
Peter Herbert: bass
Richard Filz: drums, percussion

Nach „Doktor Faustus in London“, aufgeführt letztes Jahr im Porgy&Bess, hat Alfred Zellinger jetzt auch Faust II als Slam neu geschrieben: „Doktor Faustus, Oligarch“ - mit einem Faust als Prometheus der Moderne und den Themen Globalisierung, virtuelle Ökonomie, Demagogie, künstliche Intelligenz ...

Nach dem Drama mit Margret, dem Zusammenbruch seiner Börsenspekulationen, und einem Aufenthalt im Gefängnis ist Doktor Faustus hoch motiviert zu neuen Taten. McKinsey entsendet ihn als Konsulent, Mephisto ist sein Assistent. Mit finanziellen Tricks bewahren sie einen Konzern vor dem Niedergang und einen Pleitestaat vor der Pleite. Mit seinem utopistischen Landgewinnungsprojekt im Geiste von Henri de Saint-Simon, vorangetrieben mit fragwürdigen Methoden wird Faustus letztlich zum schwerreichen Oligarchen. Seine große Liebe, Helena, die schönste Frau der Antike in Gestalt des Londoner Escort-Girls Bea, verlässt ihn, als ihr gemeinsamer Sohn Euphorion stirbt. Worauf Faust sich auf sein „Weltprojekt“ konzentriert: eine neuen Gesellschaft „auf freiem Grund mit freiem Volke“. Faust stirbt hochbetagt, aktiv bis zuletzt, die Entelechie, das Streben selbst, bleibt sein „höchstes Glück“.

Franz Koglmann schrieb und improvisiert zu diesem Text den Sound-track, unterstützt dabei von Peter Herbert, Kontrabass und Richard Filz, Percussion. (Pressetext)

Entgegen den Zeithorizonten gewohnter Faustinszenierungen, die sich in einem mehrstündigen Rahmen bewegen können, haben die Schöpfer der an diesem Abend zu hörenden Version von Goethes „Faust I“, die Herren Alfred Zellinger (Text) und Franz Koglmann (Musik), das Werk auf eine Stunde eingedampft und es ins Jetzt transferiert. Zellinger hat äußerst geschmackssicher und kompetent die Handlung im heutigen Bankensektor angesiedelt - unter dem Titel „Doktor Faustus in London“. Dem fanatischen Gelehrten Johannes Faust schrieb Zellinger die Rolle eines getriebenen Bankers zu, der all sein Vermögen verspielt und dem Nihilisten Mephisto schanzt er die Rolle eines Börsentraders zu, der mit unlauteren Mitteln Fausts Vermögen zum Wiedererstarken bringen soll. „Crossroads“ auf Neoliberal, sozusagen. Soweit so gut und dramatisch. Eingeflochten in diesen Handlungsstrang sind Nebenarme aus Joyces Ulysses und Sequenzen aus den Faustfassungen von Thomas Mann und Christopher Marlow, sowie gegenwärtige brennende globale Probleme, die den Unwillen und die Hilflosigkeit der Regierenden aufwirft. Zellinger gelang ein pointierter, mit teils sarkastischem Unterton versehener Text von aktueller Brisanz. Sein semi-professioneller Vortrag im Rahmen eines Jazz-Slam, während dem Zellinger auch gelegentlich zur E-Gitarre griff, war umgarnt von ziemlich vital swingenden, verdichteten Klangdramoletten Koglmanns, in die er mit viel Esprit neben jazzspezifischen Verbindlichkeiten, wie etwa elegante Coolness, Mid-Tempo Neo Bop-Kapriziosen, eine Bluesparabel oder fiebrige Freistilistik, weiters ein Gstanzl, ein Sinatra Songzitat („That´s Life“) bzw. eine Refrainsequenz des Lennon Songs „Give Peace A Chance“, geformt mit seiner melancholischen Sophistication, einspeiste. Und seine melodischen Linien ließ er, wie schon lange nicht, losgelöst tänzeln. Dass der Musik die nötige Substanz anheimfiel, lag an dem famosen Einvernehmen zwischen Koglmann und dem wieder einmal grandiosen Peter Herbert, der den rhythmischen, melodisch kontrastierenden Nukleus, angereichert mit raumgreifenden, befeuernden Figurbewegungen, markierte. Demzufolge erlangte das verschroben, kauzige Timing und die Performance Zellingers ebenso einen reizvollen Charme. Ein zeitrelevantes, textlich und klanglich homogen verschränktes Statement dreier erklärter Humanisten, derer es in der Öffentlichkeit, angesichts des immer infamere Züge annehmenden Neo-Liberalismus, als Mahner mehrerer bedürfte. (Hannes Schweiger, September 2016)

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FRANZ KOGLMANN
Geb. 1947 in Mödling bei Wien. Klassisches Musikstudium, Jazzstudium, Studienaufenthalte in New York und Philadelphia. Koglmann wird international als wesentlicher Erneuerer der Musik am Schnittpunkt von Jazz und europäischer Moderne rezipiert. Mehrere Bühnenwerke darunter die Oper „JOIN!“, Libretto: Alfred Zellinger, Wiener Festwochen 2013.

ALFRED ZELLINGER
Geb. 1945, Dr. jur., lebt als Schriftsteller in Wien und Gmunden. Während seiner „40 Jahre im Auge des Kapitalismus“ arbeitete er für Konzerne wie Unilever und Procter & Gamble, war Marketingleiter bei Philips, Professor an der Kunstuniversität Linz; Werbechef der BAWAG PSK, zuletzt CEO von Bösendorfer.

PETER HERBERT
Geb. 1960. Studierte in Graz und am Berklee College in Boston. Ist seit langem der führende Jazzbassist Österreichs. Spielte mit vielen Grössen der internationalen Szene wie Art Blakey, Art Farmer u.v.a. sowie mit dem libanesischen Oud-Spieler und Komponisten Marcel Khalifé.

RICHARD FILZ
Geb. in Wiener Neustadt, Musiker, Masterstudium an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien und am New Yorker Drummers Collective, Promotion 2012 zum Thema „Rhythm Coaching –Aspekte, Methoden, Vergleich“, Konzerte und Tourneen: Joseph Bowie, Bob Berg, Austrian Jazzorchester, Little Big Horns u.a.