Sept. 17, 2020
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

SO 13. September 2020
Tanzmusik für Querköpfe
ORCHESTRE NATIONAL DE JAZZ
“DANCING IN YOUR HEAD(S) – LA GALAXIE ORNETTE”
Frédérik Maurin (artistic director, cond, g), Fred Pallem (arr, b), Jean-Michel Couchet (as, ss), Anna-Lena Schnabel (as, fl), Julien Soro (ts), Fabien DeBellefontaine (ts, fl), Morgane Carnet (bs), Fabien Norbert, Susana Santos Silva (tp, flh), Mathilde Fèvre (horn), Daniel Zimmermann (tb), Judith Wekstein (b-tb), Pierre Durand (g), Bruno Ruder (el-p), Sylvain Daniel (b), Rafaël Koerner (dr)

Sie sind wirklich gekommen, die Franzosen. Bon! Und sie wussten zu begeistern. Auf einem erfüllenden Cruise durch die Galaxie Ornette Coleman. Initiiert hat das aktuelle Programm der derzeitige Leiter des ONDJ Frédérik Maurin in arragementtechnischer Zusammenarbeit mit Fred Pallem. Die beiden Musiker haben akribisch und mit einer ziemlichen Obsession daran gearbeitet. So klang es jedenfalls. Natürlich lässt es sich mit großzügiger staatlicher Finanzierung ungleich leichter arbeiten. Was ja nicht automatisch ein qualitativ hochwertiges Ergebnis zeitigen muss. Doch im Falle des französischen „Staats-Jazz-Orchesters“ ist seit Beginn an erstrangiges Niveau gegeben. Im Laufe seines Bestehens (*1986) hat sich die Formation schon einigen Ikonen und Visionären der Musik des 20. Jhdts aus den Bereichen Avancierter Jazz bzw. Rock gewidmet. Eine weitere Hommage in Big Band Gewandung gilt einem der ganz wichtigen Neuerer und Evolutionäre des „Post-Parker Jazz“. Zudem schließt die Widmung ebenfalls einen Wegbegleiter Colemans, nämlich Eric Dolphy, und zwei seiner folglich namhaften Adepten, Julius Hemphill und Tim Berne, mit je einer Komposition mitein. Ausgehend von einer der vielen Schallplatten-Großtaten des Saxophonisten, im vorliegenden Fall „Dancing In Your Head“,  aus der einen Großteil seiner späteren Schaffensperiode bestimmenden Prime Time-Phase, spannte der Orchesterleiter den Bogen zurück an Colemans aufsehenerregende Anfänge als enfant terrible des „New Thing“, das folglich unter dem Namen Free Jazz, in Bezug auf die mit selbiger Begrifflichkeit betitelten legendären Coleman-Platte, gehandelt wurde und einer neuen Entwicklungsepoche des Jazz seinen Namen gab. Einleitend war die Hemphill Komposition „Dogon A.D.“ – quasi ein Post Free Jazz-Standard mit unüberhörbaren Affinitäten zu Ornette, die wohl durchdachte Zündspule für den folgenden Streifzug durch die Weiten der colemanschen Sound-Galaxis. Heraushörbar waren bereits die vielschichtigen, von blühendster Fantasie, kontrapunktischen Kunstgriffen, rhythmischer Plastizität begleiteten Arrangements die in den Bearbeitungen der Coleman Piecen noch ausdifferenzierte und eigenständigere Voicings in Klang setzten. Zunächst delektierte sich das Orchester an ihren Neudeutungen von Coleman Kompositionen seinem Prime Time Repertoire entstammend (u.a. „Feet Music“, „Mob Job“) – tanzorientierte Rhythmen in vertrackten Schrittfolgen, das geheimnisumwitterte harmolodische Prinzip in einen modifizierten Jazz-Funk-Rock-Konnex zu bringen. Was dabei auch gelang, herauszuarbeiten das Ornette neben Miles dieses Fusionsbestreben auf neue Wege schickte. Ausgeklügelte Arrangements, mit der Wechselwirkung von homo- oder polyphon geführter Mehrstimmigkeit, harmonischer Unortodoxie und der weiteren Gleichstellung von Melodie und Rhythmus experimentierend, sprachen dahingehend Bände. Das Orchester griff bei der Umsetzung in die Vollen. Unübertroffen an diesem Abend blieb die Interpretation von Colemans „Lonely Woman“, eines seiner schönsten lyrischen Themen. Einfallsreich die Aufsplittung der Melodie auf die Blech- und Holzbläser, die in einem kollektiven, freien rubato dahinschwebte, tonaler Offenheit fröhnte und fast wie das Original unter die Haut ging. Tim Bernes Stück war aus verschachtelten Texturen gebaut, scharfkantig skizziert und tempointensiv angelegt. Solospots traten organisch aus den fixen Partituren und hatten in den Einfällen der Hornistin Mathilde Fèvre, Judith Wekstein an der seltenen Bassposaune und dem Saxophonisten Jean-Michel Couchet glanzvolle Momente. Schlusspunkt war eine nochmals alle Voluminösität und alles Klangfarbenpotential eines Großklangkörpers aufbietende Version von „Theme From A Symphony“ des Albums „Dancing In Your Head“. Das Thema stammt übrigens aus Colemans symphonischem Werk „Skies Of Amerika“ und findet sich unter dem Titel „Dancing In Your Head“ nur auf dem Solo-Debut des langjährigen Prime Time Bassisten Jamaaladeen Tacuma. Äußerst gekonnt montierten die Arrangeure des ONDJ in ihrem Update die dichten polyrhythmischen Pattern, die autarke Basslinie, die engmaschigen akkordischen Wucherungen und das einfache liedhafte Thema der Vorgabe zu kaleidoskopischer Orchestralausleuchtung. Fest steht nach dieser Neuvertonung von Belang: Ornette Is Now! Nicht zuletzt grund seines Credos: „Tomorrow Is The Question”. Merci.