Sept. 7, 2020
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

DO 27.08. – SA 29.08.2020
Austriakische ExploratorInnen Improvisieren Ohne Unterlass
oder ein Plädoyer für die Vielfalt
A.E.I.O.U. – The show must go on(line) finishing session
Austria erit in orbe ultima – Dirty Nightlines by Kingsize Talents

DO:
PHRAIM
Nina Reiter (voc), Viola Hammer (p), Marc Mezgolits (b), Peter Primus Frosch (dr)

CARTE BLANCHE: DAVID SIX
David Six (p), Mario Rom (tp), Clemens Sainitzer (cello), Lukas König (dr)

PURPLE IS THE COLOUR
Simon Raab (p), Štěpán Flagar (ss, ts), Judith Ferstl (b), Michał Wierzgoń (dr)

FR:
TELEPORT COLLEKTIVE (former Killah Tofu)
Aaron Steiner (keys), Joachim Huber (b, effects), Michael Naphegyi (dr, perc, electronics)
special guests: Lukas Schiemer (as), Eveline Schmutzhard (voc)

CARTE BLANCHE: BEATE WIESINGER
Fabian Rucker (reeds, synth), Beate Wiesinger (b, synth), Lukas König (dr, synth)

RALPH MOTHWURF ORCHESTRA
Ralph Mothwurf (cond, comp), Maria Holzeis-Augustin, Benjamin Tabatabai (fl), Vincent Pongracz, Christopher Haritzer (cl, bcl), Astrid Wiesinger, Clemens Salesny, Vicy Pfeil (saxes), Birgit Eibisberger, Laila Schubert (horn), Dominic Pessl, Simon Plötzeneder, Alexander Karanabetter (tp), Clemens Hofer, Christian Amstätter (tb), Simon Teurezbacher (tuba), Igor Gross, Tobias Meissl (malletts), Peter Rom (g), Michael Tiefenbacher (keys),
Tobias Vedovelli (b), Reinhold Schmölzer (dr)

SA:
JUNE IN OCTOBER
Lucia Leena (voc, analog synth), Florian Sighartner (v), Carles Muñoz Camarero (cello),
Judith Ferstl (b, voice)

CARTE BLANCHE: GEORG VOGEL
Georg Vogel (p, fender rhodes, synth), Elias Stemeseder (piano, fender rhodes, synth)
Valentin Duit (dr)

MAMMA FATALE
Gizem Kus, Dani Gschirtz (voc), Margit Gruber (electronics, voc), Vicy Pfeil (ss, voc)
Tzu-Min Lee (key), Sarah Brait (b), Michael Naphegyi (dr)

Die Pandemie bedingte es heuer, das Porgy & Bess temporär zu einem virtuellen Club umzufunktionieren. Das Publikum war quasi per Regierungsverordnung ausgesperrt und „eingesperrt“. Kurzerhand wurde von den Clubverantwortlichen die Möglichkeit des Streaming genutzt und die Programmschiene „The show must go on(line)“ ins Leben gerufen, die sich dezidiert auf das üppige Kreativpotential der zeitgenössischen österreichische Jazzszene konzentrierte. Da kochte und brodelte es auf den Daten-Highways, dass es eine Freude war. Und für die MusikerInnen bedeutete das einen lebensnotwendigen emotionalen wie ökonomischen Strohhalm in Zeiten einer Präsentationslähmung. Ab Mai diesen Jahres war sodann zusätzlich, wie wir wissen eingeschränkt, Live-Publikum behördlich gestattet. Klanggestöber eroberte auch wieder die Bühne. Bedeutung und Nachhaltigkeit dieser Initiative unter erschwerten Bedingungen können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Als krönenden Abschluss dieser  Serie gabs sowas wie „Österreichische Jazztage“. Unter dem Titel A.E.I.O.U., der im Jahre 2000 das finale Konzerttreiben des Porgy im Ausweichquartier RadioKulturhaus betitelte und auf den jetzt passender Weise zurückgegriffen wurde, organisierte man Feierstunden des österreichischen Gegenwarts-Jazz. Quasi eine Brennkammer mit einigen der vielleicht auffallendsten, wie es die beiden Kuratoren Christoph Huber und der die „Strenge Kammer“ verantwortlich klangspeisende Kunstuniversalist Renald Deppe charakterisierten, Kingsize Talents.

Die Selbstlautanordnung „A.E.I.O.U.“, die an vergangene, unsägliche habsburgische Großmannsucht gemahnt, wurde hier nun mit aufgeklärtem, menschenachtendem Geistreichtum gefüllt. Das Leben auf dem Planeten Kultur erhebt die Stimme, es pulsiert.

“Hört die Signale” einer Jazz-Community, die, wie die Programmverantwortlichen richtigerweise betonten, im „Oberhaus“ der Jazzwelt mitgestalten und mit, an einen Slogan einer einst progressiven sozialdemokratischen Partei hierzulande erinnernd - „Vielfalt statt Einfalt“ -, für die derartige Grundsätze zum A und O gehörten, außerordentlicher Vielfalt reüssiert. Einstündige Sets boten den MusikerInnen die Möglichkeit ihre Tonsüchtigkeit, ihr Klangkontinuum auszuleben/auszubreiten. PHRAIM ist ein Quartett um den Schlagzeuger P.P.Frosch, welches eher einer konventionelleren Modern Jazz-Diktion zustrebt, aber durch verschachtelte Rhythmuskonstrukte und metrische Findigkeiten zum Selbst findet. Forcierter Drive, hintergründiger Funk-Touch. Harmonisch, melodisch pflegt man die romantische Lesart. Die Stimme der Band bekleidete eine orthodoxe Funktion und in den Silbenimprovisationen fanden etwas zu viele „Tat-tas“ Zuspruch. Die beiden folgenden Acts durchmaßen das Modal Jazz-Idiom bis an seinen Rand. Harmonisch raffiniert bis hin zu aufreibender Polytonalität geleitet von rhythmischer Flexibilität, abenteuerlichen Taktarten und Offbeat-Mustern, welche in Sequenzen auch Auflösung erfuhren.

War die Musik des Quartetts um den Pianisten DAVID SIX in seinen Mikro- und Makrostrukturen quecksilbrig, durch dessen repetitive Muster von unmittelbarer Sogwirkung, von unentrinnbarem Drive – fantastisch wie die „Trommeleminenz“ Lukas König den Beat durch die Erlebniswelt jagte, der Cellist sein Instrument zielstrebiger Ausgelassenheit überantwortete und der begnadete Trompeter Mario Rom, alle definierten Strukturverläufe zu sich führen ließ und sich in seinen Improvisationen souverän in freie Lufträume aufschwang, so hielt das Quartett PURPLE IS THE COLOR die vertikalen bzw. horizontalen Progressionen mit kontemplativerer, hymnischer Intensität in Balance. Ebenfalls befreiten sich die MusikerInnen innerhalb der Dur/Moll-Tonalität. Solistisch brachte jeder/jede ein gewichtiges Wort ein. Doch die eigentliche substanzielle Quelle gründet sich auf einem kollektiven Ingenium hier wie dort. Verbürgt ist auch, dass das TELEPORT COLLECTIVE und das Trio der Bassistin BEATE WIESINGER mit emotionaler Entfesselung, musikalischer Dringlichkeit und wie alle anderen auch, kompromissloser Unbeugsamkeit brillierten.

Ein Klangkonvolut – polychrom, zielstrebig ungerichtet, aufregendst organisiert. Damit faszinierte in hervorstechendstem Maße an diesen drei Abenden der „Eximia ingenii Austriacas“ das RALPH MOTHWURF ORCHESTRA. Zweiundzwanzigköpfig. Mothwurf, zudem befähigter Gitarrist, destilliert aus diversen musikalischen Rezepturen – Klassik, Kunst Rock, Rap/Funk, Jazz, letztere der deklarierte Schwerpunkt, eine Syntax der eigenen Handschrift. Organisch verlaufend, schreiten unentwegt morphologische Aspekte voran, nie überreizt. Abstrakte Verzweigungen mit filigraner Kleinteiligkeit lösen voluminöse Bläsertutti oder labyrinthische Parallelführungen aus und vice versa. Bestechend in der musikalischen Logik. Der folgt die unentbehrliche Offenheit des Gestus, inspirierender Freiraum für all die wunderbaren SolistInnen steht weit offen, dessen Charakter sowohl den großen Zusammenhängen als auch kleinsten Texturelementen eigen ist. Mothwurfs Kompositionen transportieren die derzeit wohl prospektivste Formensprache für orchestrale Klangkörper. Kurzformel: „Grand Monday Night Wazoo“.

Oder man hört auf JUNE IN OCTOBER hin. Jenes zutiefst bewegende Projekt der Bassistin Judith Ferstl. Ihr exzellentes Bassspiel, melodisch und in der Time-Präsenz von großem Belang, ist diesmal Herz einer songorientierten Musik. Gepflogen wird ein Liederschaffen mit kunstfertig verstricktem Melodielineament und unsentimentaler harmonischer Direktheit, denen Ferstl mit anrührendem Ton eine geschmeidige Antriebshaftigkeit zuzüglich rhythmischer Zwischentöne zuteilwerden ließ. Und sich mit dem Violinisten solistische Feinarbeit teilte. Die Sängerin besorgte mit ihrer persönlichen Phrasierungsweise und fallweisen analog-elektronischen Interventionen für erweiterten Reiz. Jazzsongs mit umgedeuteten, unorthodoxen Folkrock-Einschlüssen unter Juni-Sonne.

Tasteninstrument-Koryphäe GEORG VOGEL, mit gewissem Besonderheitsstatus, lud zu einer musikalischen Extravaganza. Im Austausch mit eben dem anderen „Tasten-Weltklassiker“ Elias Stemeseder und Soundtüfftler/ rhythmischer Connaisseur Valentin Duit. Ein weitestgehend frei improvisierter Diskurs mit einigen vereinbarten Eckpunkten, erlangte die Hochebene eines von ad hoc Formgebungsfähigkeiten durchwirkten ausdifferenzierten Instant Composing. Virtuosität trat bei diesem Schöpfungsprozess, da sie ausschließlich als Sockel der Musik diente, in den Hintergrund. Tradierte Jazzfunktionen wurden von Vogel und Stemeseder ebenso geschmackssicher revitalisiert wie sie in eigendynamische Fantasien tonal verorteter harmonisch, melodischer Zügellosigkeit umgemünzt wurden. Melodierhythmisch blieben beide symmetrisch und zeitlich periodisch, während der Schlagzeuger durch sein Out of Time-Pulsieren spannungsinsistierende Reibungsflächen auslegte und perkussives Kunterbunt verstreute. Die Übereinkunft über die Balance zwischen individueller Freiheit, musikalischer Selbsterfüllung und sensiblem Eingehen auf die Kollektivität war das Bestechende an dieser Musik. Ein wahres Vergnügen mit Tiefgang ließ final die Band MAMMA FATALE vom Stapel. Überbordende Spiellaune, intelligenter Spielwitz, ein variabler Groove, extrovertierter Punch ging den sechs Musikerinnen und ihrem schlagzeugenden männlichen Partner spielend von der Hand. In teils sehr komplexe, jazzharmonische Arrangements mischten sich ironisch aufbereitet 80er Jahre New Wave Sequenzen und aktuelle Art-Pop Ingredienzien. Geschickt als eigenständige Schnittmenge aufbereitet und mitreißend rausgelassen. Jazzfloor für intelligente Tanzschritte. Zu bedauern gilt es, dass in den etablierten Printmedien keinerlei Echo über diese Klang-Lecture der beeindruckenden Prosperität der österreichischen Jazzkultur stattfand. Umso bedeutender waren die aufrichtigen Würdigungen der MusikerInnen dem künstlerischen Leiter des Clubs und in diesem Fall seinem Co-Kurator gegenüber. Sie erhören: hier evolutioniert global Relevantes. Quod erat demonstrandum.